Gerade in Zeiten, in denen viele Diskussionen über Afrika noch stark von außen und oft von Hilfs‑, Kolonial‑ und Armutslogiken geprägt sind, ist es wertvoll, Perspektiven zu verschieben und Selbstbestimmung sowie Mitgestaltung in den Mittelpunkt zu stellen. Diesem Ziel hat sich die Konferenz Afrika neu denken (AND) verpflichtet. Sie will jedes Mal einen Beitrag dazu leisten, den öffentlichen Diskurs zu Afrika kritisch zu beleuchten und ein Bewusstsein für die Komplexität der Herausforderungen zu schaffen, mit denen sich der afrikanische Kontinent konfrontiert sieht. So kann ein Perspektivenwechsel im Umgang mit dominierenden Afrika-Diskursen und stereotypen Vorstellungen angeregt werden. Die diesjährige Konferenz bildete keine Ausnahme von dieser Regel. Unter dem Thema „Afrika im Ellbogenzeitalter. Zur NOTwendigkeit einer radikalen Umsteuerung“ haben sich die Teilnehmenden mit den Herausforderungen vieler afrikanischer Länder im Zuge der Kürzungen der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA-Zahlungen) einiger sogenannter Geberländer auseinandergesetzt und einseitige Narrative im Blick auf Hilfslogiken dekonstruiert. Die folgenden Zeilen blicken auf die Hauptvorträge der diesjährigen AND zurück.
Ein strategisches Denken und Handeln sind gefragt
„Geopolitische Spannungen, Handelskriege und Entwicklungshilfekürzungen: Was muss Afrika tun?“. So wurde die Frage formuliert, mit der sich Mohammed Adam Habib, ein südafrikanischer Politikwissenschaftler, der seit drei Jahren die SOAS (School of African and Oriental Studies) in London leitet, in seinem Vortrag auseinandersetzte. Er konstatierte, dass die Institutionen und Prinzipien, die die aktuelle Weltordnung bis jetzt tragen, durch Aktionen wie die US-Tarifpolitik (tariff wars), neue Nationalismen und Alleingänge in verschiedenen Bereichen stark unter Druck geraten. Die Großmächte versuchen, Normen und Regeln zu ihren Gunsten zu verschieben. Daraus ergibt sich für afrikanische Länder die Notwendigkeit, ihre strategische Handlungsfähigkeit durch Eigenverantwortung zu gewährleisten. Das heißt, sich weniger auf ausländische Hilfe zu verlassen und mehr auf eigene Ressourcen zu setzen – etwa Steuereinnahmen, natürliche Ressourcen und Kapital aus der Privatwirtschaft. Die Eigenverantwortung kann aus seiner Perspektive nur mit Korruptionsbekämpfung, guter Regierungsführung und starken Institutionen einhergehen um externe Schocks besser abfangen und effizienter mit knappen Mitteln umgehen zu können. Starke Institutionen sind auch gefragt, um in diesem Kontext Partnerschaften und Entscheidungen strategisch zu navigieren. Dazu gehört eine Antizipationsfähigkeit für die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen. An diesem Punkt warf er der südafrikanischen Regierung vor, eine führende Rolle in der Palästina-Frage übernommen zu haben, ohne die möglichen Reaktionen darauf zu antizipieren, geschweige denn Maßnahmen zu treffen, um den negativen Auswirkungen entgegenzuwirken. So ist es aus seiner Perspektive zu erklären, dass Südafrika von den US-Sanktionen überrascht zu sein schien und dies gipfelte im schlecht orchestrierten Versuch, Trump überzeugen zu wollen, die Sanktionen gegen Südafrika zurückzunehmen, was bislang ergebnislos blieb.
Befreiung vom reaktiven Modus und Kontrolle des eigenen Schicksals: Die Rolle der Kultur
Die senegalesische Kuratorin und Professorin N’Goné Fall referierte über die Rolle der Kultur für die Zukunft Afrikas und seiner Diaspora anhand der "Saison Africa 2020", einem großen panafrikanischen Kulturprojekt, das in Frankreich von Dezember 2020 bis September 2021 stattfand. Als Generalkommissarin prägte sie dessen Konzeption und Durchführung sie als Generalkommissarin stark. N'Goné Fall sah in dieser Veranstaltung, die, wie viele vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron initiierten Afrika-Projekte, einer PR-Aktion dienen sollte, eine Gelegenheit, die Welt aus afrikanischer Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Das Programm umfasste alle Bereiche des künstlerischen Schaffens, aber auch Technologie, Unternehmer:innentum, Innovation und wissenschaftliche Forschung. Über 450 Projekte wurden in ganz Frankreich gestartet.
Anhand der „Saison Africa 2020“, die afrikanische Stimmen, Perspektiven und Kreativität auf dem Territorium einer ehemaligen Kolonialmacht sichtbar machte, zeigte N’Goné Fall, dass die Kultur ein zentrales Werkzeug darstellt, mit dem sich afrikanische Gesellschaften von kolonialen und fremdbestimmten Narrativen befreien können. Über Jahrhunderte hinweg wurde Afrika meist aus westlicher Perspektive beschrieben – oft klischeehaft, defizitfokussiert oder schlicht einseitig. Fall betont, dass es an der Zeit sei, dass Afrikaner: innen ihre eigenen Geschichten erzählen, ihre Identität selbst definieren und sich nicht länger durch den Blick von außen beschreiben lassen. Kultur wird dabei zu einem Ort der Selbstbestimmung, des kritischen Denkens und der Zukunftsgestaltung – frei von kolonialen Zuschreibungen und offen für die Vielfalt afrikanischer Realitäten. Für N’Goné Fall ist Kultur ein strategisches Instrument zur Befreiung, das weit über Ästhetik hinausgeht. Sie versteht Kultur als Raum der Reflexion, Kritik und Erneuerung, in dem Afrikaner:innen ihre Zukunft selbst entwerfen können – frei von kolonialen Zuschreibungen. Die „Saison 2020“ wurde als politische und kulturelle Geste aufgefasst, um Afrika aus einer Position der Stärke und Kreativität zu zeigen. Genau diese Perspektive wünscht N´Goné Fall den Regierenden des afrikanischen Kontinents angesichts der Herausforderungen der Gegenwart: „Afrika braucht keine Belehrungen mehr von außen. Wir wissen, wer wir sind. Es ist Zeit, unsere Geschichten selbst zu erzählen – auf unsere Weise, mit unseren Stimmen“, betonte sie.
Wirtschaftliche Souveränität und Handlungsfähigkeit auf dem Weg zur Multipolarität: Auswirkungen auf Afrika und die afrikanische Diaspora
Die nigerianische Politikwissenschaftlerin Amara Enyia, Präsidentin der transnationalen Lobbyorganisation Global Black und ehemalige Direktorin für Politik und Forschung von Movement for Black Lives beschloss, für Afrika neu Denken 2025 ihre Reflektionen auf die wirtschaftliche Souveränität und Handlungsfähigkeit afrikanischer Länder im Kontext aktueller geopolitischer Spannungen zu fokussieren. Amara C. Enyia betonte die zentrale Bedeutung wirtschaftlicher Souveränität für die Zukunft Afrikas und seiner Diaspora im Kontext einer sich wandelnden, multipolaren Weltordnung. In einer globalen Landschaft, in der traditionelle Machtzentren wie Europa und die USA zunehmend Konkurrenz durch neue Akteure wie China oder regionale Allianzen bekommen, sieht Enyia eine historische Chance für afrikanische Staaten, sich von alten Abhängigkeiten loszusagen und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken. Für sie bedeutet wirtschaftliche Souveränität nicht nur die Kontrolle über Ressourcen, sondern auch institutionelle Unabhängigkeit, fiskalische Eigenständigkeit und die Fähigkeit, entwicklungspolitische Entscheidungen auf Basis eigener Prioritäten zu treffen. Besonders hob sie die Rolle der afrikanischen Diaspora hervor, die nicht nur durch Rücküberweisungen, sondern auch durch Wissen, Netzwerke und politisches Engagement zur Stärkung afrikanischer Staaten beitragen kann. Enyia versteht die Diaspora als strategischen Partner im Kampf um globale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Emanzipation. Im Rahmen einer multipolaren Ordnung könnten afrikanische Länder – gemeinsam mit ihren weltweiten Diaspora-Gemeinschaften – alternative Allianzen und Süd-Süd-Kooperationen nutzen, um ihre Interessen selbstbewusster zu vertreten. Damit macht Enyia deutlich: Eine gerechtere Weltordnung entsteht nicht durch Anpassung an alte Strukturen, sondern durch die aktive Gestaltung neuer Wege – getragen von afrikanischer Selbstbestimmung und kollektiver Kraft.