Am 09. September2025 hat Äthiopien den Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) feierlich in Betrieb genommen. GERD wird von vielen Beobachter:innen auf dem afrikanischen Kontinent als ein Beispielprojekt betrachtet. Manche Analyst:innen sprechen sogar von einer Revolution. Dies mag übertrieben sein. Zumindest machen einige Aspekte dieses Projektes Mut für diejenigen Länder in Afrika, die sich auf dem Weg in die Unabhängigkeit von externen Gebern machen wollen. Bei aller Euphorie für die positiven Seiten dieses Projektes, bleibt es im Zeichen eines ungelösten Konflikts zwischen Äthiopien und seinen Nachbarn im Norden.
Konflikt mit Ägypten und dem Sudan um das Nil-Wasser
Bevor auf die Aspekte eingegangen wird, die dieses Projekt für Afrika einmalig machen, ist es wichtig, zunächst daran zu erinnern, dass GERD nicht überall in Afrika Begeisterung ausgelöst hat. Die Nachbarländer Äthiopiens, die für die Versorgung ihrer Städte und ihrer Landwirtschaft auf das Süßwasser des Nils angewiesen sind, protestierten gegen das Projekt, was noch immer für Spannungen sorgt. Sämtliche Versuche von der AU und UN, ein Abkommen zwischen diesen Ländern herbeizuführen, sind bis jetzt gescheitert. Besonders Ägypten, das bis zu 97% vom Nil-Wasser abhängig ist, hat die Befürchtung, dass der GERD in Dürrezeiten seine Wasserversorgung gefährden könnte. Äthiopien bemühte sich während der Bauzeit und bei der offiziellen Inbetriebnahme, seinen Nachbarn zu versichern, dass das Land nicht vorhabe, ihnen zu schaden und dass die Befüllung des Dammes jederzeit Rücksicht auf deren Bedarfe genommen hat und weiterhin nehmen wird. Während der fast 14 – jährigen Bauzeit blieb die Befürchtung Ägyptens unbegründet. Zu keinem Zeitpunkt sei am Nil eine signifikante Abnahme der Wassermenge nach Ägypten bemessen worden. Aus einigen Regionen des Sudans kamen sogar lobende Worte für das Projekt, da anscheinend der Bau des Dammes unbeabsichtigt den Überschwemmungen vorbeugte, die in den Jahren zuvor diese Regionen Sudans immer wieder heimsuchten und Zerstörungen großen Ausmaßes verursachten. Ägypten und der Sudan haben nach der Fertigstellung des Projektes in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Sorgen noch einmal bekräftigt. Dies klang resignierend, nachdem Ägypten aktiv versucht hatte, mit diplomatischem Druck das Projekt zu verhindern und sehr erfolgreich darin war, alle potenziellen bilateralen und multilateralen Geber zu überzeugen, dieses Projekt finanziell nicht zu unterstützen. Die fehlende Unterstützung dieses Projektes von Außen bewirkte den aus der Perspektive Ägyptens ungewollten Effekt: eine noch nie da gewesene Mobilisierung von innen.
Selbstfinanzierung als dekolonialer Akt
Als die äthiopische Regierung registrierte, dass eine finanzielle Unterstützung für das Mega-Projekt von Außen nicht zu erwarten war, beschloß sie, das Projekt nicht zu stoppen, sondern es durch die Mobilisierung von weiteren Mitteln innerhalb des Landes und in seiner Diaspora fortzusetzen. Die Bauarbeit begann im Jahr 2011. 14 Jahre später wurde der größte Staudamm Afrikas und einer der 20 größten in der Welt mit einer Leistung von 5,15 Gigawatt in Betrieb genommen. Damit kann Äthiopien nicht nur den eigenen Bedarf decken, sondern auch Strom an Nachbarländer wie den Sudan, Kenia, Dschibuti und eventuell auch nach Ägypten exportieren, die alle ein Energiedefizit haben. Äthiopien hat den GERD durch nationale Mittel finanziert: durch Staatsanleihen, Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und Spenden von Bürger:innen in Äthiopien und in der Diaspora. Es sind bewegende Momente gewesen, nach der feierlichen Inauguration des GERD, auf verschiedenen Plattformen nachzulesen, wie stolz viele Äthiopier:innen sind, als Schüler:innen, Studierenden oder Angestellte im Inland und Ausland für dieses Projekt ihr Taschengeld, Gehälter oder Ersparnisse gespendet zu haben. Der afrikanische Kontinent hat schon viele Bauprojekte erlebt, die zu einem kompletten Stopp kamen, weil sich externe Geldgeber zurückzogen. Die Eisenbahn-Linie in Kenia endet vorläufig in Naivasha, anstatt in Malaba, von wo aus die Verbindung nach Uganda geschaffen werden sollte, weil China sich aufgrund von Streitereien mit der kenianischen Regierung aus dem Projekt zurückzog. Auch die geplante Erweiterung des Inga-Staudammes in der DR Kongo, an deren Finanzierung sich SADC-Länder wie Südafrika, Angola und Sambia beteiligen wollten, um ihre aktuellen Energieprobleme zu lösen, konnte bis heute noch nicht realisiert werden, weil sich die Weltbank aus verschiedenen Gründen aus der Finanzierung dieses Projektes zurückzog. Mit GERD demonstriert Äthiopien, wie Tansania ein paar Monate zuvor mit der John Pombe Magufuli Brücke zwischen Kigongo und Busisi am Victoria-See, die Fähigkeit eines afrikanischen Landes, ein Megaprojekt ohne westliche oder chinesische Hauptfinanzierung zu stemmen. Dies allein stellt einen Bruch mit der jahrzehntelangen Abhängigkeit von externen Geldgebern dar, die oft nur Projekte finanzieren, von denen sie selbst direkt profitieren oder den Weg afrikanischer Länder in die Hyperverschuldung so pflastern, dass diese am Ende ihre wertvollsten Ressourcen zu lachhaften Preisen privatisieren müssen.
GERD als Symbol der Einheit und der Dekolonisierung
GERD wird in Äthiopien zum Symbol des Nationalstolzes. Menschen aus allen Regionen Äthiopiens haben finanziell dazu beigetragen. In einem Land mit ethnischen Spannungen wurde der Damm zu einem der seltenen Projekte, das eine breite Unterstützung der Bevölkerung genießt. Dies allein ist ein dekolonisierender Moment, da koloniale und neokoloniale Kräfte davon profitieren, Menschen in afrikanischen Ländern nach regionalen und/oder andersartig definierten Interessenkonstellationen gegeneinander auszuspielen. Darüber hinaus stellt Äthiopien mit dem GERD die koloniale Ordnung in Frage, durch die mit den sogenannten Nilwasserverträgen die Kolonialmacht Großbritannien Ägypten und Sudan ein quasi-monopolistisches Recht auf Nilwasser zusicherte. Mehr noch: Mit GERD und ihrer billigen und grünen Energie schafft Äthiopien die Grundvoraussetzung für die Beschleunigung der Industrieökonomie. Im Kontext eines afrikanischen Kontinents, der durch die Kolonisierung zu einem Rohstofflieferant reduziert wurde, ist jede gut durchdachte Schritt zu begrüßen, der die Voraussetzungen für die Beendigung der kolonialen Arbeitsteilung voranbringen. Jetzt kommt es für Äthiopien und seine Nachbarn darauf an, diese Voraussetzungen zu nutzen und die sich daraus ergebenden Potentiale zur Entfaltung zu bringen.
In Zeiten von Klimawandel ist allerdings nicht auszuschließen, dass anhaltende Dürreperioden zeigen, dass es für Äthiopien eine fatale Entscheidung war, auf Wasserkraft als Technologie zur Überwindung der Energiearmut zu setzen, weil der Damm aufgrund niedriger Wasserstände am Nil nicht befüllt werden kann. Nichtsdestotrotz hat Äthiopien gezeigt, dass ein afrikanisches Land ohne Fremdfinanzierung ein Megaprojekt realisieren kann.