Ein persönlicher Nachruf
26. Juli 1924 bis 5. September 2025
Ruth Weiss hat mich mein ganzes Erwachsenenleben begleitet. Da bin ich sicher nicht die Einzige. Zunächst waren es ihre Bücher, vor allem die Autobiografie Wege im harten Gras, später auch ihre Romane. Während meines Studiums in Mainz habe ich sie bei einer Veranstaltung des Weltladen Unterwegs in den 1990er-Jahren persönlich kennengelernt. Den Kontakt nahm ich mit nach Heidelberg und konnte sie zu einer Lesung in den Karlstorbahnhof anlässlich der Afrikatage 2009 einladen.
Im Rahmen der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika wurde sie als Zeitzeugin immer wichtiger. Ihr umfassendes Wissen über die Länder des Südlichen Afrikas, ihre persönlichen Erfahrungen als Wirtschaftsjournalistin mit den Mächtigen sowie ihre Anwesenheit bei Schlüsselmomenten der jüngsten Geschichte, konnte sie in unzähligen Veranstaltungen aus dem Gedächtnis so spannend erzählen, dass das Publikum an ihren Lippen hing. Es war nicht nur die Art, wie sie erzählte, sondern besonders auch die Details, die sie erinnerte, oder wie sie historische Zusammenhänge erklären konnte und dabei einer der bescheidensten Menschen blieb, die ich je kennenlernen durfte. Sie war Teilnehmerin etwa bei Veranstaltungen, die wir gemeinsam mit dem Zimbabwe Netzwerk durchgeführt haben und teilte ihre Erfahrungen und Analysen. Sie las bis zum Schluss unsere Newsletter und reagierte besonders auf Berichte aus Simbabwe. Sie war derselbe Jahrgang wie Robert Mugabe, den sie seit den 1960er Jahre kannte, und über den sie 2021 ein Buch veröffentlichte: „Von kolonialem Raub zum räuberischen Staat. Die Geschichte des Robert Gabriel Mugabe” – und den sie um sechs Jahre überlebte.
Auch wenn sie mit ihrer Familie zunächst ins südafrikanische Exil ging und dort mit der Apartheid konfrontiert wurde, blieb ihr Simbabwe bis zum Schluss eine besondere Herzensangelegenheit. Sie forderte uns als Organisationen zur Überprüfung der Solidarität ebenso auf wie zur konkreten Unterstützung von Menschenrechtsaktivist:innen.
In ihrem Buch „Erinnern heißt Handeln – Mein Jahrhundertleben für Demokratie und Menschlichkeit” schreibt sie:
„Mein Leben war geprägt durch zwei besondere Umstände: meine Geburt als Jüdin im Deutschland vor dem Nationalsozialismus, die Erfahrung von Rassismus als Antisemitismus und die Flucht vor Verfolgung und Vernichtung, wie sie Millionen von Jüdinnen und Juden erleiden mussten. Und durch das Ziel meiner Flucht: Südafrika, ein Land, in dem ich den Rassismus als Ablehnung und Ausgrenzung aller „nicht-weißen“ Menschen unter dem menschenverachtenden System der Apartheid, der Rassentrennung, erlebte. Diese zwei Erfahrungen ergänzten und verstärkten sich gegenseitig, und brachten mich zu einer konsequenten Haltung gegenüber jeglicher Art von Ausgrenzung, Diskriminierung und ungerechter, erniedrigender Behandlung anders aussehender, denkender, glaubender, liebender und lebender Menschen.
Mein Handeln war das Schreiben, meine Waffe war die Feder, oder besser gesagt: die Schreibmaschine. Als Journalistin wollte ich die Ungerechtigkeit bekämpfen, Missstände aufdecken, Fakten für sich sprechen lassen, und zwar so klar und deutlich, dass die Menschen, die meine Artikel lasen, ihre Schlüsse selbst ziehen konnten. Und im besten Fall selbst zum Handeln motiviert und ermutigt wurden.“
Und genau hier wollen wir als Aktivist:innen in ihrem Sinne weiterarbeiten und ihr Erbe bewahren. Ihre Ausdauer, ihr Mut und ihre Freundlichkeit werden uns dabei Vorbild sein.
Links
https://ruth-weiss-gesellschaft.de/
Texte von Dr. Rita Schäfer anlässlich ihres 100. Geburtstags
https://ifbb.fritz-bauer-forum.de/datenbank/ruth-weiss-geb-loewenthal/
https://www.gender-blog.de/beitrag/ruth-weiss-100-jahre
https://wissenschaft-und-frieden.de/artikel/ruth-weiss/
Exemplarische Nachrufe
https://taz.de/Nachruf-auf-Ruth-Weiss/!6109092/
https://www.fuerth.de/service-fuerther-rathaus/aktuelles/detail/die-stadt-fuerth-trauert-um-ruth-weiss/
https://www.br.de/nachrichten/bayern/menschenrechtlerin-ruth-weiss-mit-101-jahren-gestorben,UvvHMeF
https://www.deutschlandfunkkultur.de/jahrhundertzeugin-ruth-weiss-ein-leben-fuer-gerechtigkeit-dlf-kultur-3e79ce2b-100.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/kampf-gegen-rassismus-die-schriftstellerin-ruth-weiss-ist-gestorben-102.html