Nachgang: Gottesdienst zum Thema Nachhaltigkeit und Ökologie

Dieser fand am Sonntag, 30. Juli 2023 in der Dorfkirche Unterliederbach in Frankfurt statt.

Von und mit Pfarrerin Regina Westphal, Pfarrerin Charlotte von Winterfeld, GWÖ-Referent Joachim Langer.

Predigtgespräch Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)

 

Charlotte: Für heute haben wir als Gast Joachim Langer eingeladen. Du bist Bildungsreferent und beschäftigst dich damit, wie man Wirtschaft gerecht, nachhaltig und klimagerecht gestalten kann.

Regina: Was ist kurz zusammengefasst die Gemeinwohl-Ökonomie?

Joachim: Zunächst einmal: die GWÖ ist nichts neues, sie ist Teil des Grundgesetzes (Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen) und der Landesverfassungen (z. B. Bayern: Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl). Alle gesellschaftlichen Akteurinnen sollen also dem Gemeinwohl dienen.

Wichtig ist als erstes ein gemeinsames Ziel. Für die GWÖ ist das ein gutes Leben für alle, für Mensch und Umwelt.

Der Maßstab, wie wir messen können, ob wir dem Gemeinwohl dienen, sind die Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung.

Wenn wir uns dem Gemeinwohl (Nachhaltigkeit) annähern wollen, dann braucht es einen ganzheitlichen Ansatz:
Alle 4 Werte sind gleichermaßen zu berücksichtigen und alle Beteiligten – also Lieferant:innen, Eigentümer und Finanzpartner, Mitarbeitende, Kundinnen und das gesellschaftliche Umfeld - sind gleichermaßen einzubeziehen
Und: GWÖ ist keine fertige Lösung. GWÖ bedeutet, den Ansatz gemeinsam auf Grundlage der Werte weiterzuentwickeln.

Um auf den Weg der Nachhaltigkeit zu kommen, braucht es Änderungen im System. Klimakrise und Spaltung unserer Gesellschaft sind Symptome, die Ursache ist unsere Wirtschaftsordnung UND dass unsere Demokratie noch Schwächen bzw. Verbesserungspotenzial hat.

Wir brauchen Rahmenbedingungen, die alle Beteiligten inspirieren und motivieren, dass z. B. Produkte möglichst lange halten und repariert werden können, dass wir mit Ressourcen sehr sparsam und umweltschonend umgehen, dass wir Ressourcen so teilen und verteilen, dass alle genügend für ein menschenwürdiges Leben bekommen.

Beispiel Bleistift: alle, die daran mitgearbeitet haben (Waldarbeiter, der den Baum fällt, LKW-Fahrer:in, Fabrik-Arbeiter:in, Verkäufer;in – alle sollen menschwürdige Arbeitsbedingungen und ein menschenwürdiges Einkommen haben und in allen Bereichen wird darauf geachtet, dass die Umwelt nicht geschädigt wird.

Charlotte: Wann bist du der „Gemeinwohl-Ökonomie“ begegnet und wie hat sie dein Leben verändert?

Joachim: 2014 bin ich durch einen Buch-Tipp auf das Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber, dem Mitinitiator der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung gekommen. Ich habe es gelesen und für mich gemerkt: genau das ist es, so könnte es gehen. Der Ansatz hat mich gepackt!

Ich habe mich in der nächsten GWÖ-Regionalgruppe engagiert, in verschiedenen Akteur:innen-Kreisen der GWÖ, bin Bildungsreferent, Berater und Referent geworden.

2018 habe ich meinen Job gekündigt. Ich war als Geograph in unterschiedlichen Projekten - z. B. Regionalentwicklung, Aufbau von Beschäftigungs-Netzwerken, Schule-Wirtschaft-Kooperationen, Bürgerbeteiligung beim Ausbau regenerativer Energien - in einem Beratungsunternehmen tätig. Nach 20 Jahren Angestelltendasein bin ich in die Selbstständigkeit gesprungen. Seither mache ich nur noch „GWÖ“.

Regina: Welche Anhaltspunkte gibt uns die Bibel deiner Meinung nach zum Thema Wirtschaft und Klimaschutz?

Joachim: Die Bibel ist voll von Geschichten wo es um Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Bewahrung der Schöpfung geht. Die Speisung der 5000, der Baum der keine Früchte trägt, der verlorene Sohn, vom Zöllner Zachäus, die Bergpredigt, die Tagelöhner im Weinberg
Immer geht es darum, Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit einzuüben, gemeinsam einen guten Weg zu suchen. Genauso wie bei der GWÖ.

Wenn wir die Geschichte von den Tagelöhnern im Weinberg etwas genauer anschauen: auch wenn sie unterschiedlich lange gearbeitet haben, alle bekommen den gleichen Lohn. Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit würden die meisten sagen: das ist ungerecht. Es geht hier aber erst einmal darum, dass die Tagelöhner den Tag überstehen können. Das können sie nur, wenn sie den Tageslohn bekommen. Zunächst ist wichtig, dass alle satt werden.

Also: Sich gemeinsam für das Gemeinwohl, für das Gute einzusetzen, ist etwas urchristliches.

Charlotte: Wie können wir Leitbilder unseres Glaubens – Achtung der Menschenwürde und Achtung vor der Schöpfung und gerechtes Teilen – in wirtschaftlichen Zusammenhängen umsetzen?

Joachim: Die Kirchengemeinden und die Kirche als Institution wurden auch durch unser Wirtschaftssystem geprägt. Das bedeutet, dass sich in vielen Bereichen der Fokus auf Gewinn und Wachstum und entsprechende „Spar-Mentalitäten“, also zum Beispiel bei Kaufentscheidungen „Wer ist der günstigste Anbieter“, durchgesetzt haben.

Die Kirchen in Deutschland sind einer der größten Arbeitgeber und sie haben eine entsprechende wirtschaftliche Macht. Wenn sie eine ethische Wirtschaftsordnung – also den christlichen Glauben (s. Bergpredigt) – auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen leben und umsetzen würden, dann sähe es in Deutschland und darüber hinaus ganz anders aus. Denn ein „GWÖ-Unternehmen“ nimmt nicht einfach den Günstigsten, sondern setzt sich z. B. mit den Lieferant:innen an einen Tisch. Es möchte wissen, wie die Lieferant:innen die Werte leben und im Gegenzug zahlt es den Preis, der dafür notwendig ist.

Charlotte: Ist unser Wirtschaftssystem wirklich so schlecht? Angebot und Nachfrage sind doch gute Korrekturmittel. Nicht alle Manager*innen und Wirtschaftsbosse handeln verantwortungslos, sie verbringen oft auch schlaflose Nächte, weil sie so viel Verantwortung tragen.

Joachim: Unser Wirtschaftssystem hat vielen von uns einen noch nie dagewesenen Wohlstand beschert. Und gleichzeitig war und ist das nur möglich, weil Menschen und Ressourcen z. B. im globalen Süden ausgebeutet werden, und wir auf Kosten der Natur und zukünftiger Generationen leben. Unser Lebensstil und unsere Art zu Wirtschaften sind von Nachhaltigkeit weit entfernt. Wenn alle auf der Welt so leben würden wie wir in Deutschland, dann bräuchten wir 3 Erden.

Die GWÖ möchte, dass alle! – Manager:innen und Mitarbeitende – jede Nacht gut schlafen können. Indem wir miteinander so entscheiden und wirtschaften, dass es allen gut geht.

Regina: Wie können wir uns in unserem Umfeld und in unserer Gemeinde für die Umsetzung einer ethischen Wirtschaftsordnung einsetzen?

Joachim: Zunächst einmal ganz allgemein: es gibt inzwischen viele gute Beispiele auf ganz verschiedenen Ebenen, wie man/frau sich engagieren kann (s. auch Link-Liste):

Es gibt Unternehmen, die mit gutem Beispiel vorangehen, z. B.: Sonnentor (Tee und Kräuter), Vaude (Freizeit-Kleidung und -ausrüstung), wetell, Nestbau AG, Forst-Ba-Wü (Landesunternehmen) – jeder Gemeinwohl-Bericht, den ein Unternehmen erstellt und veröffentlicht, ist eine Inspirationsvorlage.

Erste Hochschulen sind dabei z. B.: TH Nürnberg, Theologische Hochschule Reutlingen.

Es gibt GWÖ Akeur:innen-Kreise, z. B. AK Bildung, der Bildungsmaterialien gestaltet

Kirchengemeinden, z. B. Rosphetal-Mellnau hat einen GW-Bericht erstellt und das ist eine gute Vorlage und Orientierung für Kirchengemeinden. Die Katholische Kirchengemeinde in Pforzheim sowie die Kirchengemeinden Griesheim, Nied und Niederrad in Frankfurt sind auf dem Weg.

Weitere Beispiele: Kommunen und Städte, eine AG Politik, die sich auf kommunal-, landes-, bundes- und EU-Ebene engagiert, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie in Ba-Wü bauen ein Netzwerk für ihre Unternehmen auf und wollen es deutschlandweit ausbreiten.

Christ:innen für den Wandel - cfdw.de – ein neues Netzwerk gründet sich: Wandel soll von der Basis gestaltet werden, indem Wandelgruppen vor Ort gegründet werden.

Wenn ich mich einbringen möchte, dann schaue ich:

  • Was sind meine Stärken, meine Möglichkeiten, wo habe ich Lust!
  • Ein gutes Beispiel / Vorbild auswählen:
  • Verbündete suchen, eine Gruppe bilden.
  • Nicht gegen etwas agieren – sondern gemeinsam für ein gutes Leben für alle – Blockade und Spaltung aufheben
  • Wichtig: die systemische Ebene einbeziehen: Energie sparen ist wichtig, aber es ändert noch nichts am System.

Es gibt also nicht eine Möglichkeit, sich zu engagieren, sondern es gibt für jede:n Möglichkeiten, wo er/sie sich möglichst gut und effektiv einsetzen kann, um Einfluss auf den gesellschaftlichen Veränderungshebel zu nehmen.

Charlotte: Was antwortest du Menschen, die sagen: „Nachhaltig und ökologisch, das muss man sich auch leisten können – das ist etwas für Besserverdienende“?

Joachim: Ja, das ist in unserer aktuellen Wirtschaftsordnung so angelegt UND die Entscheidungen unserer Politik – sowie die Lobby-Verbände, die darauf Einfluss nehmen – sorgen bisher dafür, dass es dabei bleibt.

Da kommen wir wieder zu dem Punkt, dass es Änderungen im System braucht.
Einerseits, dass alle ein menschwürdiges Einkommen bekommen – mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Grundbedürfnisse gut erfüllen können, indem sie auch und faire und Bio-Produkte kaufen können.
Andererseits: Produkte und Dienstleistungen, die Menschen ausbeuten und die Umwelt schädigen, müssen teurer werden als solche, die Mensch und Umwelt im Blick haben, z. B. durch eine entsprechende Besteuerung.

Dazu gehört auch die grundsätzliche Frage: Was brauche ich für ein gutes Leben – also um z. B. die Grundbedürfnisse befriedigen zu können? Und was brauche ich nicht wirklich, um glücklich und zufrieden zu sein? Wo fängt Luxus an?

Jede:r von uns hat die Möglichkeit, die Stimme zu erheben und z. B. in der Kirchengemeinde, im Unternehmen, im Verein zu fragen: wieviel verdient die Reinigungskraft und wieviel die Geschäftsführung? Welche Einkommensverteilung halten wir für gerecht und solidarisch?