Ist Afrika nur korrupt? - Das Tagesgespräch des WDR 5 zum Klimagipfel in Nairobi

Am 06.09. wurde ich als Gast zur Sendung des WDR 5 Tagesgespräch eingeladen. Die Sendung stand unter der Überschrift „Klimafolgen in Afrika. Müssen wir zahlen?“ Der Klimagipfel in Nairobi hatte in der Abschlusserklärung u.a. an die finanzielle Verpflichtung der Industrieländer erinnert, um die Folgen der Klimakatastrophe in afrikanischen Ländern zu bewältigen. Der Austausch in dieser Sendung erwies sich als viel schwieriger als erwartet, weil es oft nicht möglich war, in die Tiefe der Thematik zu gehen und die eigentlich relevanten Aspekte der Klimagerechtigkeitsdiskussion zu analysieren.

Dies war nicht ein Problem der Zeit, wie das oft in Radio- und Fernsehsendungen der Fall ist, sondern hing damit zusammen, dass nach den meisten Beiträgen der Zuhörer:innen ich mich gezwungen sah, zu versuchen, die allgemeinen Vorurteile gegenüber dem afrikanischen Kontinent zu entkräften. Diejenigen, die sich in Deutschland mit dem afrikanischen Kontinent auseinandersetzen, wissen und betonen oft, dass kein Kontinent so sehr unter seiner Wahrnehmung leidet wie Afrika. Selbst für jemanden wie mich, der viel mit Afrika-Themen unterwegs ist und schon viel an Vorurteilen und Pauschalisierungen zu Afrika gehört hat, waren manche Aussagen, die in dieser Sendung zur Sprache kamen, so schockierend, dass ich teilweise die Argumentationslinie während der Sendung verlor.

Sowohl die Moderatorin als auch ich selbst wiesen immer wieder darauf hin, dass Afrika kein Land, sondern ein großer Raum mit einer Vielfalt von Kulturen, politischen und ökonomischen Wirklichkeiten ist. In der Sendung sprachen manche Zuhörer:innen dagegen explizit von „Afrika“ als Land. Oder, was häufiger vorkam, implizit, indem sie ihre Wahrnehmungen, Beschreibungen, Zuschreibungen und Analysen so stark pauschalisierten, dass die Unterschiede zwischen den Kontexten nicht mehr erkennbar waren. Bei keinem Thema wurde dies so deutlich wie bei Korruption. Bei manchen Zuhörer:innen wurde deutlich, dass der Hauptgrund, warum sie gegen finanzielle Leistungen von Industrienationen zugunsten der afrikanischen Länder sind, die Befürchtung ist, das Geld würde in die Hände der korrupten Eliten und deren Familien gelangen und verschwinden. Als Beweis dafür erwähnten sie immer wieder die Entwicklungszusammenarbeit, die über die Jahrzehnte Milliarden mobilisiert habe. Über die Bilanz der Entwicklungszusammenarbeit darf und muss diskutiert werden. Allerdings ist die Annahme, dass sie ihre Ziele aufgrund der Korruption der afrikanischen Eliten verfehlt hat, zwar sehr verbreitet, aber zu kurz gegriffen. Eine ernstzunehmende Analyse der Effektivität der Entwicklungshilfe muss sich mit den tatsächlichen Zielen, mit Akteuren und Instrumenten sowie Mechanismen der Abwicklung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit beschäftigen. Im Blick auf all diese Aspekte herrscht in der deutschen Öffentlichkeit viel Ignoranz. Daher diese pauschalen Aussagen. Niemand würde ernsthaft meinen, dass jeder Cent der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) dort ankommt, wo er hin muss. Aber die Idee, dass das Geld der deutschen EZ bei korrupten afrikanischen Eliten landen würde, würden Menschen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die die finanzielle Abwicklung der deutschen EZ innehaben, als lächerlich bezeichnen. Damit ist nicht gemeint, dass die EZ nicht mit Veruntreuungen zu tun hat. Diese finden statt, aber die wirklich relevanten Teile davon überwiegend in einer Gestalt, die ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit nicht wahrhaben möchte. Die EZ schafft wohl das Umfeld, indem sich Eliten in einigen afrikanischen Ländern mit der Übernahme bestimmter Verantwortungen durch ausländische Akteure so entlastet fühlen, dass sie das veruntreuen, was in den Ländern erwirtschaftet wird. Mit anderen Worten: nicht das Geld der deutschen EZ lassen manche Eliten - und nicht nur sie - sondern auch globale Konzerne besonders in rohstoffreichen Ländern verschwinden, sondern das, das in den Ländern selbst durch die verschiedenen Aktivitäten, u.a. durch den Handel mit natürlichen Ressourcen, generiert wird. Die Summen, die als Illicit Financial Flows (IFF) Afrika verlassen, sind deutlich bedeutender als die Entwicklungshilfe. Zu den Nutznießern der IFF gehören auch westliche Industriestaaten, denn deren Konzerne, die in Afrika ansässig sind, repatriieren diese in ihre Mütterländer.

Solche Zusammenhänge erklären zu wollen, nahm Zeit in Anspruch und ich kam nicht mehr dazu, deutlich zu machen, dass Gerechtigkeit angesichts der Klimakatastrophe sich nicht nur aus der Vergangenheit, sondern aus gegenwärtigen Dynamiken der Beziehungen etwa zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden ergibt, denn zur Bewältigung der Klimakrise gehört auch, dass zum Beispiel die DR Kongo über die zweitgrößte Lunge der Menschheit nach dem Amazonas-Gebiet verfügt. Im Kongo-Becken wird auch Öl vermutet. Wer glaubt, dass der Kongo sein Öl im Boden lässt, um diese Lunge für die ganze Menschheit zu bewahren und dies für ein Land wie Deutschland zum Nulltarif geschehen soll, ist nicht empathielos, sondern auch naiv. Die gleiche Fragestellung ergibt sich im Blick auf den neuen Extraktivismus für die Energie-Transition: Wer soll für den grünen Kolonialismus zahlen? Darf es ihn überhaupt geben? Kobalt, Mangan, Wolfram, Coltan, Lithium, Platin etc. aus Afrika werden für die Aufrechterhaltung der Lebensstandards in westlichen Industrienationen bei Externalisierung der Sozial- und Umweltkosten ausgebeutet.  Dass dies nicht mehr hinnehmbar ist, wird immer mehr von Communities in Afrika und in anderen Teilen der Welt zurückgemeldet, die von Bergbauaktivitäten betroffen sind. So bleibt die Frage nach finanziellen Reparationen und Ausgleichmechanismen aktuell, solange Ressourcen etwa aus Afrika für hiesige ökonomische Kreisläufe genutzt werden und solange die hiesigen Lebensstandards Auswirkungen auf Menschen haben, die davon nichts haben. Klimawandel zu stoppen, sollte das Hauptziel sein, auch im Blick auf Generationengerechtigkeit. Mit den bereits auftretenden Auswirkungen gerecht umzugehen, ist auch angesichts des Verursacherprinzips eine Gerechtigkeitsfrage. Ohne Zweifeln bringt die Pflicht, aus Gerechtigkeitsgründen Geld für Reparationen und Kompensationen zu mobilisieren, eine andere Pflicht mit sich: die Suche nach den bestmöglichen Wegen, damit das Geld tatsächlich und möglichst schnell die Gemeinschaften erreicht, die es für Adaptation und Anpassung angesichts der Zerstörungen durch den Klimawandel brauchen. Damit wir uns der Vielfalt der Instrumente und Wege öffnen können, die es gibt, um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine Befreiung von der Konstruktion von Afrika als kleinem Raum voller Korruption und voller Menschen, die sich als Opfer stilisieren.

Diese Sendung hat gezeigt, wie hartnäckig die koloniale Bibliothek ist und dass die (entwicklungs-) politische Bildungsarbeit nicht nur intensiviert, sondern auch diversifiziert werden muss, um möglichst viele zu erreichen.

Link zur Radiosendung: Klimafolgen in Afrika – Müssen wir zahlen? - Tagesgespräch - Sendungen - WDR 5 - Radio - WDR

Boniface Mabanza