Initiative: Politik muss die Macht übermächtiger Konzerne beschneiden

Angesichts übermächtiger Konzerne, die gesellschaftlich wichtige Märkte etwa im Digital- und Finanzsektor kontrollieren, fordern 27 zivilgesellschaftliche Organisationen – darunter die Werkstatt Ökonomie – ein entschiedenes Vorgehen gegen die zunehmende Monopolisierung der Märkte. Der Bundestag und EU-Institutionen müssen Gesetze auf den Weg bringen, damit Kartellbehörden zukünftig in schwerwiegenden Fällen übermächtige Konzerne entflechten, das heißt zerschlagen können. Die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht schadet der Demokratie, der Gesellschaft und der Wirtschaft, weil sich eine gemeinwohlorientierte Politik und die notwendige soziale und ökologische Transformation der Wirtschaft so nur schwer umsetzen lässt.

Die Marktkonzentration vergrößert die soziale Ungleichheit hier und im Globalen Süden. Mächtige Unternehmen wie Amazon und Google können höhere Gewinne durchsetzen, indem sie auf der Abnahmeseite die Preise drücken, Marktzugangsbedingungen bestimmen, sich Steuerbehörden entziehen und Größenvorteile ausnutzen. Da Unternehmens- und Aktienbesitz sehr ungleich verteilt ist, profitieren in erster Linie Eigentümer, Investoren und Manager. „Nur jeder Fünfte in Deutschland ist davon überzeugt, dass unser Wirtschaftssystem sozial gerecht ist. Wir müssen die wirtschaftliche und politische Macht in viele statt in wenige Hände legen. Die nächste Bundesregierung muss dringend das Kartellrecht verschärfen und eine Entflechtung in schwerwiegenden Fällen möglich machen“, erklärt Oxfams Kartellrechtsexpertin Marita Wiggerthale.

„Große Marktmacht in den Händen weniger Konzerne ist eine Gefahr für die Demokratie“, erklärt Ulrich Müller von LobbyControl. „Sie können ihre Marktmacht in politischen Einfluss ummünzen und politische Maßnahmen ausbremsen, die wichtig für das Gemeinwohl wären.“ Zugleich beeinflussen marktmächtige Konzerne mit ihren eigenen Entscheidungen wichtige Felder der Gesellschaft. „Die großen Tech-Konzerne dominieren weite Teile der digitalen Wirtschaft. Sie sind die größten Lobby-Akteure in Europa und beeinflussen Kernbereiche der Demokratie wie öffentliche Debatten“, so Müller. „Diese Machtfülle muss beschnitten werden. Neben neuen Regulierungsansätzen wie im Digital Markets Act der EU brauchen wir dafür ein wirksames Entflechtungsinstrument.“

Die Finanzbranche ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn einzelne Unternehmen zu viel Macht haben. In der Finanzkrise mussten Banken mit Milliarden gerettet werden, da bei ihrer Pleite schwere Folgen befürchtet wurden. „Die Lehren aus der Finanzkrise wurden bis heute nicht gezogen“, meint Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. Weder sei das klassische Bankgeschäft vom Investmentbanking getrennt worden, noch hätte sich eine kritische Perspektive zu Fusionen zwischen Großbanken durchgesetzt. Doch neben den bekannten Problemen werden auch neue Trends nicht ausreichend ins Auge gefasst. „Dem Vordringen der großen Digitalkonzerne in den Finanzmarkt wie Apple, Facebook und Google wird viel zu oft tatenlos zugesehen. Gleichzeitig kann der gigantische Vermögensverwalter BlackRock immer weiterwachsen, ja er wird sogar noch mit Regierungsaufträgen gefördert.“

Es ist dringend nötig, dass die rechtliche Grundlage für Entflechtungen geschaffen wird. Für die Aufspaltung marktbeherrschender Unternehmen liegen international Erfahrungen und Präzedenzfälle vor. Auch in Deutschland gibt es seit den 1960er Jahren immer wieder Forderungen nach einem Entflechtungsinstrument. Es braucht jetzt eine Möglichkeit, um die übergroße Macht einzelner Unternehmen aktiv zurückzudrängen. Über die Kartellpolitik hinaus geht es zudem um Fragen der Steuerpolitik, Wirtschaftsdemokratie oder Gemeinwohlorientierung von Unternehmen.

Hintergrund

  • In Deutschland gab es seit den 1960er Jahren immer wieder Forderungen nach einem Entflechtungsinstrument. Im Jahr 2010, als die schwarz-gelbe Koalition regierte, legte die FDP einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Unterstützung erhielt sie damals vom heutigen Präsidenten des Bundeskartellamts, Herrn Mundt, und von der Monopolkommission.
  • Für die Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen gibt es international Erfahrungen und Präzedenzfälle. Aktuell wird in den USA und in Großbritannien ganz konkret über eine Entflechtung von Tech-Konzernen wie Facebook und Google diskutiert. Übermächtige Konzerne könnten in funktionale, überlebensfähige Teil-Unternehmen aufgeteilt werden, so dass Arbeitsplätze erhalten bleiben.
  • Es ist keine Seltenheit, dass Konzerne eine Entflechtung selbst initiieren. Eine Analyse von Fortune-100-Konzernen in den 1990er Jahren ergab insgesamt 2.307 Fusionen und Übernahmen sowie ganze 1.611 Veräußerungen von Geschäftsbereichen.
  • Keine der 800 Übernahmen der fünf mächtigsten Tech-Konzerne von Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft wurde in den letzten 20 Jahren durch eine Kartellbehörde untersagt. Und die Fusionswelle läuft weiter, wie etwa die angekündigte Übernahme des Hollywood-Studios MGM durch Amazon zeigt.
  • Aktuell plant die EU über den Digital Markets Act (DMA) den Plattformen neue Regeln zu geben, die den Missbrauch von deren Macht begrenzen sollen. Das Bundeskartellamt hat zudem ein Verfahren gegen Amazon, Facebook und Google auf Grundlage der letzten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gestartet. Beides sind sinnvolle Ansätze, die den Machtmissbrauch durch dominante Plattformen erschweren sollen. Es bleiben aber verhaltensbasierte Ansätze, die die bisherigen Übernahmen und die erreichten Machtpositionen von Amazon, Google und Co. nicht in Frage stellen.
  • Die Regierungen von Deutschland, Frankreich und die Niederlande haben jüngst in einem Brief zum DMA auch eine Verschärfung der EU-Fusionskontrolle im Digitalsektor gefordert. Es bleibt allerdings die Lücke, dass es ein Instrument geben muss, bereits vollzogene Fusionen rückgängig zu machen und übergroße Machtpositionen in bestimmten Märkten aufzubrechen.