Das Lieferkettengesetz: der Anfang vom Ende des Dogmas der Freiwilligkeit

Am 11. Juni 2021 beschloss der Bundestag kurz vor dem Ende der Legislaturperiode das so genannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Nachdem auch der Bundesrat Ende Juni zugestimmt hat, kann es 2023 in Kraft treten. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen erstmals, ihrer Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards in der Lieferkette nachzukommen. Dafür hatte sich ein breites Bündnis von 125 gewerkschaftlichen, kirchlichen, Entwicklungs- und Umweltorganisationen in der Initiative Lieferkettengesetz stark gemacht. Massiver Gegenwind kam dagegen vonseiten der Wirtschaftsverbände und führte zu einem monatelangen Tauziehen zwischen den federführenden Bundesministerien und einem zähen Ringen zwischen den Koalitionspartnern. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der aus der Perspektive der Initiative Lieferkettengesetz einerseits einen Paradigmenwechsel im Sinne der Menschenrechte darstellt, andererseits aber erhebliche Schwachstellen aufweist.

Ein Fortschritt für die Menschenrechte …

Seit Jahrzehnten üben zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder Kritik an Unternehmen, auch deutschen, weil es in ihren Lieferketten zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt. Der Einsturz des Rana Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesch, der Brand einer KiK-Zulieferfabrik in Pakistan, Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika und der Bruch des Staudamms von Brumadinho sind nur einige der Beispiele, die zeigen: Freiwillige Unternehmensverantwortung, seit Jahrzehnten das einzige Rezept von Unternehmen und Bundesregierungen, reicht allein nicht aus, um die Menschenrechte wirksam zu schützen.

Mit diesem Dogma der Freiwilligkeit bricht das Lieferkettengesetz und nimmt erstmalig Unternehmen in die Pflicht, Verantwortung für die Menschen und die Umwelt in ihren Lieferketten zu übernehmen. Dazu müssen sie angemessene vorbeugende Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu erkennen und zu minimieren. Verstoßen sie gegen diese Sorgfaltspflichten, können sie von der zuständigen Kontrollbehörde mit Bußgeldern belegt und in schweren Fällen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Außerdem erleichtert das Gesetz den Zugang von Betroffenen zu deutschen Gerichten, indem sie eine Nicht-Regierungsorganisation oder Gewerkschaft ermächtigen können, in ihrem Namen Klage einzureichen.

… mit gravierenden Schwachstellen

Doch bei aller Genugtuung über die verbindliche Verankerung menschenrechtlicher (und einiger umweltbezogener) Sorgfaltspflichten für Unternehmen: Das Lieferkettengesetz wurde unter massivem Lobbydruck an vielen Stellen abgeschwächt und seine Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt.

Besonders gravierend ist, dass die Sorgfaltspflichten nicht für die ganze Lieferkette uneingeschränkt gelten, sondern nur für den eigenen Geschäftsbereich eines Unternehmens und seine unmittelbaren Zulieferer. Über diese erste Stufe der Lieferkette hinaus müssen Unternehmen erst dann tätig werden, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ von möglichen Menschenrechtsverstößen und Umweltschäden haben. Damit wird das Lieferkettengesetz dem risikobasierten Verständnis der Sorgfaltspflichten, wie sie in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen niedergelegt sind, nicht gerecht. Denn gerade am Anfang der Lieferketten – etwa in der Landwirtschaft oder beim Rohstoffabbau – ist das Risiko von Menschenrechtsverstößen und Umweltschäden besonders hoch.

Ursprünglich war im Regierungsentwurf eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen, wonach Unternehmen für Schäden aufkommen müssen, die sie durch angemessene Sorgfaltsmaßnahmen hätten verhindern können. Dieser zivilrechtliche Haftungsanspruch wurde nicht nur gestrichen, sondern wird im Gesetz sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Damit trägt das Lieferkettengesetz zum einen nicht zu einem verbesserten Rechtsschutz von Betroffenen bei, zum anderen verzichtet der Gesetzgeber auf einen wirksamen Anreiz zur Umsetzung angemessener Sorgfaltsmaßnahmen.

Eine dritte Schwachstelle des Gesetzes besteht darin, dass es keine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht begründet. Umweltschäden werden durch das Gesetz nur insoweit berücksichtigt, wie sie unmittelbare menschenrechtliche Auswirkungen haben, etwa die Vergiftung von Böden oder Trinkwasser. Beeinträchtigungen der Biodiversität oder klimaschädliches Verhalten werden durch das Lieferkettengesetz nicht erfasst. Als umweltbezogene Risiken werden lediglich Verstöße gegen das Übereinkommen von Minamata über Quecksilber, das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe und das Basler Übereinkommen über das Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle genannt.

Ein vierter Mangel besteht in dem eingeschränkten Anwendungsbereich: Das Lieferkettengesetz erfasst zunächst nur (deutsche und ausländische) Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten im Inland, ab 2024 solche ab 1.000 Beschäftigte. Betroffen sind davon im ersten Schritt etwa 900, im zweiten etwa 4.800 Unternehmen. Der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte hatte noch Unternehmen ab 500 Beschäftigte einbezogen; die Initiative Lieferkettengesetz hatte dafür plädiert, das Gesetz auf alle Unternehmen ab 250 Beschäftigte sowie KMU in Branchen mit besonderen Risiken anzuwenden. Die Mehrzahl der Unternehmen wird also durch das Lieferkettengesetz nicht direkt erfasst; allerdings werden sie als Glieder in den Lieferketten der Großen mittelbar doch davon betroffen sein.

Wie weiter?

Welche Wirkung das Lieferkettengesetz entfaltet, wird entscheidend von der Art und Weise seiner Umsetzung abhängen: Wie werden die Kontrollen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ausgestaltet? Wie hoch wird die Schwelle für die „substantiierte Kenntnis“ sein? In welchem Maße werden nicht nur die Berichte der Unternehmen, sondern die faktischen Bedingungen in der Lieferkette kontrolliert?  Diese Fragen müssen unter angemessener Beteiligung der Zivilgesellschaft behandelt werden, etwa in einem Beirat, der die Arbeit der BAFA begleitet.

Auf EU-Ebene hat die Diskussion um ein europäisches Lieferkettengesetz ebenfalls begonnen. Bereits im April letzten Jahres hatte Justizkommissar Didier Reynders angekündigt, im Juni 2021 einen Legislativvorschlag der Kommission vorzulegen. Der sollte nach seinen Vorstellungen all die Elemente enthalten, die im deutschen Lieferkettengesetz auf Druck aus der Wirtschaft Leerstellen hinterlassen haben. Die Auseinandersetzung um diese Elemente ­– zivilrechtliche Haftung, Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette, umweltbezogene Sorgfaltspflichten und erweiterter Anwendungsbereich – wird auf europäischer Ebene voraussichtlich ebenso scharf geführt werden wie in Deutschland. Ein erstes Indiz dafür ist, dass Reynders seinen Vorschlag nun erst im Herbst vorlegen wird.

Der Artikel entstand für die Stiftung Energie & Klimaschutz: https://www.energie-klimaschutz.de/das-lieferkettengesetz-der-anfang-vom-ende-des-dogmas-der-freiwilligkeit/.