Unternehmen sollen Menschenrechte achten! Das gilt für Spielzeug ebenso wie für alle anderen Produkte.
Interview mit Uwe Kleinert, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte der Werkstatt Ökonomie sowie Vorstandsmitglied im Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg (DEAB)
Herr Kleinert, Sie beschäftigen sich seit langem mit dem Thema Unternehmensverantwortung, insbesondere mit dem Blick auf Spielzeug. Wie ist die Situation?
Kleinert: Wie in vielen anderen Produktbereichen stehen auch die Hersteller von Spielzeug unter einem erheblichen Preisdruck. Die Produktion wurde deshalb seit den 1970er Jahren nach Fernost verlagert. Heute kommen rund 80 Prozent der europäischen Spielzeugimporte aus China, in Deutschland sind es zuletzt rund 50 Prozent gewesen. Daneben gewinnen osteuropäische Länder an Bedeutung, etwa Tschechien und Polen. In der Kritik stehen vor allem Spielzeugunternehmen, die in China produzieren lassen. Dort wird in vielen Fabriken nicht nur gegen international vereinbarte Arbeitsstandards verstoßen, sondern auch gegen das chinesische Arbeitsrecht. Ein großes Problem in der Spielzeugbranche ist die starke Saisonalität. Insbesondere wenn in den Fabriken für das Weihnachtsgeschäft produziert wird, sind Arbeitszeiten von 14 Stunden täglich, an sieben Tagen die Woche, erzwungene Überstunden, Arbeitsunfälle durch Übermüdung und mangelhaften Arbeitsschutz keine Seltenheit. Die Löhne liegen nicht selten unter dem sowieso schon unzureichenden staatlichen Mindestlohn und in den Fabrikwohnheimen herrschen gelegentlich schlicht unzumutbare Bedingungen. Unabhängige Gewerkschaften gibt es ebenso wenig wie ein Recht auf Streik. Wer in einem solchen Kontext produzieren lässt, muss sich des Risikos von Arbeitsrechtsverletzungen bewusst sein und sollte angemessene Vorkehrungen dagegen treffen.
Wie erfolgreich waren Ihre Bemühungen, die Herstellungsbedingungen transparent zu machen und die Unternehmen zu bewegen, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden?
Wir haben im Rahmen der Aktion fair spielt zusammen mit Misereor und anderen Akteuren über zwölf Jahre lang kritisch mit einem Branchenprogramm auseinandergesetzt, das vom Internationalen Verband der Spielzeugindustrie Mitte der 1990er Jahre angestoßen wurde. Im Rahmen dieses Programms wurden chinesische Spielzeugfabriken kontrolliert und zertifiziert. Sicher gab es dadurch einige konkrete Verbesserungen, und bei den teilnehmenden Unternehmen wurde ein Bewusstseinswandel angestoßen. Wir konnten auch einige Dinge durchsetzen, etwa ein unabhängiges Beschwerdesystem. Aber letzten Endes hat sich nur eine kleine Minderheit der deutschen Spielzeugunternehmen an dem Programm beteiligt und viele von denen haben ihr Engagement, wenn man es so nennen will, eingestellt, als der öffentliche Druck nach Ende der Aktion fair spielt im Jahr 2012 nachließ. Und in aktuellen Studien, etwa der CIR, werden nach wie vor Arbeitsrechtsverstöße auch in zertifizierten Fabriken nachgewiesen. Ganz abgesehen davon: Das Programm hat die gesamte Verantwortung für die Arbeitsbedingungen den chinesischen Herstellern auferlegt; Verbesserungs- oder Vorsorgemaßnahmen der hiesigen Abnehmer wurden und werden nach wie vor nicht gefordert, obwohl die mit ihrer Einkaufspolitik ganz wesentlich die Handlungsspielräume ihrer Lieferanten bestimmen. Meine Lehre aus dem Projekt: Freiwillige Programme bleiben in ihrer Reichweite und in ihrem Anspruch unzureichend und tragen deshalb allenfalls punktuell zu besseren Arbeitsbedingungen bei.
Es geht also nicht ohne eine gesetzliche Regelung?
Es ist meine feste Überzeugung, dass der Gesetzgeber in Deutschland klar definieren muss, was er von Unternehmen erwartet, damit in deren Lieferketten Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden möglichst vermieden werden. Diese so genannten menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten umfassen Risikoanalysen, angemessene Vorsorgemaßnahmen, die regelmäßig überprüft und angepasst werden, ein Beschwerdesystem und eine aussagekräftige Berichterstattung. Dieses Lieferkettenmanagement muss umso anspruchsvoller sein, je größer das Risiko von Menschenrechtsverstößen im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens ist. Zu einer gesetzlichen Regelung gehören deshalb klare Qualitätsanforderungen und natürlich eine Haftungsregelung für Fälle, in denen Unternehmen trotz vorhersehbarer Risiken untätig bleiben.
Wie bewerten Sie die Initiative Lieferkettengesetz?
Die Werkstatt Ökonomie gehört zu den 17 Trägerorganisationen der Initiative Lieferkettengesetz. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass es in Deutschland noch in dieser Legislaturperiode eine verbindliche Regelung zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen gibt. Das Zeitfenster für ein solches Gesetz ist jetzt offen: Im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte vom Dezember 2016 hatte die Bundesregierung für den Fall, dass nicht „mindestens 50 % aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten bis 2020 die […] beschriebenen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben“, „weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen“ angekündigt. Die Initiative Lieferkettengesetz vertritt den Standpunkt, dass es nicht als ausreichend gelten kann, wenn die Hälfte der Unternehmen angemessene Sorgfaltsmaßnahmen umsetzen – und die andere Hälfte untätig bleibt. Sie fordert ein Lieferkettengesetz deshalb unabhängig vom Ausgang des Monitorings – zumal an dessen Methodik inzwischen so weit herumgebastelt wurde, dass den Ergebnissen, wie immer sie ausfallen werden, jede Glaubwürdigkeit fehlt.
Gibt es erste Reaktionen auf die Initiative?
Nach meiner Einschätzung verläuft die Initiative Lieferkettengesetz sehr erfolgreich: Die Zahl der Unterstützerorganisationen wächst und die Petition wurde bereits von mehr als 75.000 Menschen unterschrieben (Stand: Anfang November 2019). Ich nehme bei Veranstaltungen viel Zuspruch wahr und – noch wichtiger – viel Bereitschaft zum Engagement. In Baden-Württemberg hat sich ein breites zivilgesellschaftliches Netzwerk von Organisationen etabliert, die mithelfen wollen, die Initiative Lieferkettengesetz zu stärken und in die Fläche zu tragen. Auch in der Politik gibt es viel Zustimmung, wie die Faire Kaffeepause von DEAB und SEZ im Landtag gezeigt hat. Und inzwischen sprechen sich sogar mehr und mehr Unternehmen für gesetzliche Sorgfaltspflichten aus, unter anderem weil sie nicht länger einsehen, dass sie Verantwortung übernehmen, ihre Wettbewerber sich aber verweigern. Ich will natürlich nicht verhehlen, dass es auch heftigen Widerstand gegen ein Lieferkettengesetz gibt. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit Beharrlichkeit und guten Argumenten erfolgreich sein können.
Bibliografische Angaben
Uwe Kleinert (2019): Freiwillige Programme genügen nicht. In: Südzeit Nr. 83, Dezember 2019, S. 18-20