Am 22. September fand im Haus am Dom in Frankfurt die 11. Konferenz Afrika neu denken statt. Die diesjährige Konferenz nahm das 60. Jahr seit der Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) zum Anlass, um einen Blick auf die unerledigten Aufgaben des philosophischen Unterbaus dieser Organisation zu werfen: des Panafrikanismus. Die folgenden Zeilen blicken auf diese Konferenz zurück
Der Kontext der Konferenz
Die Vorträge: Eine kritische Bilanz der Panafrikanischen Organisation und Perspektiven
Diese Einblicke auf die Funktionsfähigkeit der AU boten einen guten Kontext zu dem von Frauke Banse von der Universität Kassel gewählten Fokus: Sie befasste sich mit der Frage, ob die geopolitischen Umbrüche in der Welt Chancen für mehr politischen Spielraum für Afrika bieten. Dafür analysierte sie die Bedeutung der aktuellen geopolitischen Lage für den afrikanischen Kontinent, wobei ihr Fokus auf der Militärpolitik mit besonderem Augenmerk auf die Terrorbekämpfung und auf der Wirtschafts- und Migrationspolitik lag. Im Blick auf die Wirtschaftspolitik stellte sie fest, dass der afrikanische Kontinent ins Zentrum einer globalen Konkurrenz geraten ist. Der afrikanische Kontinent gewinnt an geostrategischer und ökonomischer Bedeutung auch für Deutschland. Deutschland und die EU sehen in afrikanischen Ländern wichtige Standorte für die Diversifizierung von Energie- und Rohstoffquellen, sowie von Beschaffungs- und Absatzmärkten. Diese Wahrnehmung Afrikas, die in entsprechenden Wirtschaft- und Investitionsabkommen Ausdruck findet, zementiert eine koloniale Arbeitsteilung, in der afrikanische Länder Rohstofflieferanten bleiben, während die Wertschöpfung nach wie vor außerhalb des Kontinents entsteht. Die weitere schlechte Nachricht ist, dass der Rohstoffboom in vielen Ländern des Kontinents mit einer Verschärfung der Verschuldung und der Illicit Financial Flows einhergeht. Ihr Fazit lautete, dass der sich durch die neue geopolitische Lage ergebende Spielraum von Akteuren außerhalb des Kontinents genutzt wird, die über bessere Instrumente verfügen, um die finanziellen und materiellen Ressourcen des Kontinents zu kontrollieren, als die Ankündigungen der Afrikanischen Union und der regionalen Blöcke es vermögen.
Die Workshops und die Abendveranstaltung
Vor der Workshopsphase bekam die Konferenz Besuch von „Mime Art for Life e.V.“ aus Südafrika, die zu diesem Zeitpunkt auf Deutschlandtournee war und an dem Tag sogar zu Gast in einer Frankfurter Schule. „Mime Art for Life e.V.“ macht Pantomimen, in denen brennende gesellschaftliche Themen unter Beteiligung des Publikums aufgegriffen werden, um somit den Dialog zu fördern. So gesehen war der Auftritt dieser Gruppe eine gute Überleitung zu den Arbeitsgruppen, in denen der Austausch unter den Teilnehmenden im Mittelpunkt stand. Die Workshops griffen viele der Themen auf, die in den Vorträgen und der darauffolgenden Diskussion skizziert wurden. Die drei Workshops zu Extraktivismus in Afrika für die grüne Transformation in Europa unter der Leitung von Frauke Banse, zur Zukunft der Panafrikanischen Freihandelszone mit Boniface Mabanza und zur Rolle der afrikanischen Diaspora für die Transformation Afrikas unter der Leitung von Maimouna Outtara, Promotorin zur Stärkung der migrantischen Zivilgesellschaft in Berlin boten eine gute Gelegenheit zur Vertiefung einzelner Aspekte der Vorträge und zum Entwurf von Lösungsansätzen zu den dringenden Problemen der afrikanischen Integrationsprozesse 60 Jahre nach den ersten institutionalisierten Impulsen. Den Schlusspunkt der diesjährigen Veranstaltung setzten die Schriftstellerin Aya Cissoko und die Band Sauti é Haala. Aya Cissoko las aus ihrem neuen Buch „Kein Kind von Nichts und Niemand“ vor. Mit ihr entwickelte sich ein berührendes Gespräch über Identität, Ausgrenzung, Rassismus und Kampf um Anerkennung, welches die Brücken zu den Themen der Vorträge und der Workshops deutlich machte. Ähnlich verlief es mit dem Auftritt der Band Sauti é Haala, an dem Abend vertreten durch Rahime Diallo und Zaida Horstmann. Beide verbinden afrikanische Welten, Regionen und Sprachen, die sie in selbstgeschriebenen politischen Texten zum Ausdruck bringen. Ebenso verbindet beide auch die Selbstverpflichtung, die Erinnerung an May Ayim, eine Identifikationsfigur der afrikanischen Diaspora in Deutschland, lebendig zu halten. Ihre Gedichte wurden an diesem Abend vorgetragen, wie jedes Mal wenn Rahime Diallo und Zaida Horstmann auftreten. Die Gedichte von May Ayim in der Kombination mit den Texten und Erfahrungen von Aya Cissoko machten den Abend unvergesslich.
Fazit
Mit knapp über 70 Teilnehmenden bleibt Afrika neu denken, verglichen mit ähnlichen Veranstaltungen in diesem Jahr, eine gut besuchte Veranstaltung, auch wenn die Besucher:innenzahl im Vergleich zum letzten Jahr zurückging. Es hat sich wieder bewährt, ein historisches Ereignis wie die Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit zum Anlass zu nehmen, um strukturelle Fragen, die den afrikanischen Kontinent betreffen, zu diskutieren. Die Zuspitzung der Ereignisse u.a. mit den Militärcoups in Niger und Gabun und die Handlungsunfähigkeit der Afrikanischen Union haben die Relevanz und Aktualität der ausgewählten Themen bestätigt. 60 Jahre nach der Gründung des kontinentalen Zusammenschlusses bleibt Afrika ein von ausländischen Interessen und deren Kriterien definierter Kontinent. Viele Länder des Kontinents haben seit Anfang der 1990er Jahre mehrere Milliarden Euro für Wahlen ausgegeben, die keineswegs dazu beigetragen haben, gelebte und partizipative Demokratien zu etablieren. Die politische Instabilität ist in vielen Ländern dauerhafte Realität und in deren Zentrum steht die Legitimität derer, die diese Länder regieren. Ihr Zugang zur Macht und ihr Umgang damit werden von den meisten ihrer Mitbürger:innen nicht akzeptiert. Sobald eine Krise kommt, wenden sich Menschen ab und unterstützen diejenigen, die ihnen versprechen, mit der Machtausübung anders umzugehen. So ist der Beifall fürs Militär in Westafrika und in Gabun zu erklären. Wer darin eine Ablehnung der Demokratie sieht, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Vielmehr handelt es sich um eine Ablehnung der Scheindemokratien, der Demokratien der Alternativlosigkeit in der Wirtschaftspolitik und der Demokratien korrupter und ineffizienter Regierungsführung. Auch dem Militär in den benannten Ländern droht das gleiche Schicksal, falls die versprochenen Alternativen nicht kommen, die Klarheit darüber schaffen, wie der Zugang zu Macht geregelt wird, wie die Kontrolle funktioniert, welche Mechanismen der Absetzung im Falle von Machtmissbrauch etabliert werden und wie es um die ökonomische Souveränität steht. Somit wäre die Instabilität in diesen Ländern vorprogrammiert, die sie daran hindert, ihren Reichtum für die eigene Bevölkerung nutzbar zu machen. Angesichts dieser Trends erheben sich Stimmen, selbst aus den Reihen der Afrikanischen Union, die dringend fordern, tiefgehende Veränderungen anzustoßen. Die von der Afrikanischen Union etablierte Kommission für die Erkundung institutioneller Reformen in Afrika stellte in ihrem Vorbericht die Frage: „Was ist für die Menschen in Afrika wichtiger: Fremde Modelle reproduzieren oder den eigenen Pfad zur Verwirklichung ihrer tiefsten Wünsche beschreiten? An der Beantwortung dieser Frage wird sich zeigen, ob die Afrikanische Union in den nächsten 60 Jahren relevanter sein wird, als sie es in den 60 vergangenen Jahren sein konnte. Von dieser Frage hängt ab, ob der Traum von Patrice Lumumba Wirklichkeit werden kann, dass „Afrika eines Tages ihre eigene Geschichte schreiben wird.“