Sieben Monate sind seit der Ermordung des Menschenrechtsaktivisten und Rechtsanwalts Thulani Maseko vergangen. Er setzte sich dafür ein, dass Menschenrechte in Swasiland geachtet werden und bezahlte dafür mit seinem Leben, nachdem er früher schon wegen seiner kritischen Äußerungen inhaftiert worden war. Er war es auch, der die Umbenennung des Landes von Swaziland auf eSwatini als alleinige Entscheidung des Königs in Frage stellte und gerichtlich anfocht. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung war Maseko Vorsitzender des Multi-Stakeholder-Forums MFS, einer Gruppe politischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich für demokratische Reformen im Land einsetzen.
Demokratiebewegung
Seit 2018 gibt es Proteste gegen den verschwenderischen Lebensstil der königlichen Familie und den weit verbreiteten Missbrauch öffentlicher Gelder. König Mswati III. ist Afrikas letzter absoluter Monarch, der seit 1986 an der Macht ist und das Land, seine Ressourcen und seine Menschen als sein privates Eigentum betrachtet. Die Proteste eskalierten während der Pandemie und fanden ihren Höhepunkt im Juni 2021, als mehr als 80 Menschen getötet und Hunderte verletzt oder inhaftiert wurden. Die Demonstrant:innen fordern politische Reformen und echte Demokratie und laufen damit Gefahr, schikaniert, verhaftet und verfolgt zu werden. Zwei Abgeordnete, Mduduzi Bacede Mabuza und Mthandeni Dube, wurden 2021 verhaftet, weil sie sich für mehr Demokratie einsetzten - welch Ironie - und sitzen seither im Gefängnis.
Die junge Generation, die hier auf die Straße geht, ist nicht mehr bereit, die dramatische Situation im Land hinzunehmen. 2022 lebten nach Angaben der Weltbank 55 Prozent unter der Armutsgrenze für Länder mit mittlerem Einkommen – und zu diesen wird Swasiland gerechnet - von 3,65 US-Dollar pro Tag. Der verschwenderische, öffentlich auf sozialen Medien zur Schau gestellte Lebensstil von Mswati III. und seiner Familie steht dazu in krassem Gegensatz und trägt zu den sozialen Spannungen bei.
Zwar hat das Land theoretisch Fortschritte bei der Bereitstellung staatlicher Infrastruktur wie Nahrung, Wasser, Wohnraum, Bildung und Gesundheit gemacht, doch von einem extrem niedrigen Level aus gerechnet. Gleichzeitig hat sich aber die Wahrnehmung der Menschen verändert, wie der Mo-Ibrahim Index feststellt: Sie sind deutlich weniger zufrieden mit dem Staat und der Wirtschaft, der Menschenrechtssituation, der Gleichstellung der Geschlechter und der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen als noch in 2017. Und ganz besonders unzufrieden sind sie mit der unangemessenen Einschränkung ihrer Freiheiten, wie etwa bei der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, da die Behörden das Gesetz zur Unterdrückung des Terrorismus von 2008 und ein Gesetz aus der Kolonialzeit verstärkt einsetzen, um Aktivist:innen und politische Opposition zum Schweigen zu bringen.
Swasiland ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Verletzung sozialer und wirtschaftlicher Rechte mit der Verletzung bürgerlicher und politischer Rechte zusammenhängt. Aufgrund von Armut, fehlenden Arbeitsplätzen, Nahrungsmitteln und angemessenen Wohnungen fordern die Menschen einen Wandel in der Führung des Landes. Sie fordern einen offenen Dialog für mehr Demokratie, für mehr Mitbestimmung in die Zukunft des Landes und keine Scheinwahlen, die ein Schattenparlament aufstellen, dessen Entscheidungen durch ein Vetorecht des Königs über den Haufen geworfen werden kann. Sie fordern Entwicklung, die bei ihnen ankommt und nicht nur bloße Zahlenspiele, die das Land etwa als Land mittleren Einkommens gut dastehen lassen.
Tinkhundla – Wahlen in einer absoluten Monarchie
Am 26. August 2023 fanden Vorwahlen statt. Swasiland hat mit der Nationalversammlung (Parlament) und dem Senat ein bikamerales System. Die Wahlkreise Tinkhundla sind in Chiefdoms unterteilt, in denen die Vorwahlen stattfinden. Aus jedem Chiefdom wird ein:e Kandidat:in für das Amt des Parlamentsmitglieds und ein:e Kandidat:in für das Amt des Wahlkreisvorstehenden aufgestellt, die dann am 29. September zu den Wahlen auf Tinkhundla-Ebene antreten. Die Zwanzig Senator:innen des Senats werden direkt vom König ernannt, ebenso wie zehn Mitglieder des Parlaments.
Dennoch kann Swasiland nicht als Demokratie bezeichnet werden, denn Politische Parteien sind von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen. Potentielle Kandidat:innen werden zunächst von den Chiefs auf ihre Tauglichkeit – und Loyalität gegenüber der Monarchie – geprüft. Frauen haben grundsätzlich schlechtere Karten, überhaupt von der patriarchalen Struktur zugelassen zu werden. In dieser Wahlperiode ist ihre Zahl im Vergleich zu den Wahlen 2018 sogar deutlich gesunken. 2018 wurden 59 Frauen gewählt, doch in diesem Jahr schafften es nur 34 Frauen durch die Vorwahlen.
Zwei Minister des Kabinetts und zahlreiche amtierende Abgeordnete unterlagen bei den Vorwahlen. Immerhin können die Wähler:innen so ihren Unmut über deren Leistung in der Regierung oder im Parlament zum Ausdruck bringen.
Im Gegensatz zu den fast zeitgleich stattfindenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Nachbarland Simbabwe verläuft diese Wahl völlig unbeobachtet von nationalen oder internationalen Wahlbeobachtungsmissionen. So wird niemand den Rufen über Wahlbetrug, Einschüchterung- und Bestechungsversuchen nachgehen, die an vielen Orten am Wahltag und nach Bekanntgabe der Ergebnisse laut wurden. Keine regionale oder internationale Presse nimmt davon Notiz.
Politischen Parteien ist zwar die Teilnahme verboten, was einzelne Parteimitglieder jedoch nicht davon abhält, sich aufstellen zu lassen. Die Frage, ob ein Boykott der Wahlen sinnvoller sei als den Versuch, ein undemokratisches System von innen reformieren zu wollen, wird auch dieses Jahr wieder heiß diskutiert.
Die größte politische Bewegung PUDEMO boykottiert wie in den vergangenen Jahren die Wahlen, weil sie der Meinung ist, dass ihre Teilnahme das herrschende Regierungssystem, das sie überwinden wollen, legitimieren würde.
Die erst 2021 gegründete Partei Swaziland Liberation Movement Swalimo ist der Ansicht, dass mehr Stimmen im Parlament vertreten sein sollten, um die Forderungen nach politischen Reformen zu verstärken. Daher hat Swalimo seine Mitglieder mobilisiert, sich zur Wahl zu stellen und Personen zu wählen, die politische Reformen unterstützen.
Die Teilnahme einiger Aktivist:innen an den Parlamentswahlen hat die demokratische Massenbewegung MDM so stark polarisiert, dass diejenigen, die an den Wahlen teilnehmen, beschuldigt werden, mit dem Regime unter einer Decke zu stecken. Darüber hinaus hat die Debatte darüber, ob die Wahlen boykottiert werden sollen oder nicht, die pro-demokratischen Dach-Organisationen geschwächt, die eigentlich verschiedene politische Formationen mit gegensätzlichen Ideologien zusammenhalten sollte. Anfang August zogen sich Swalimo, Inhlava und die Swazi Democratic Party Swadepa aus dem Multi-Stakeholder Forum MSF zurück. Sie warfen dem MSF vor, Partei für die Gruppen zu ergreifen, die zum Boykott aufriefen. PUDEMO hingegen argumentiert, dass es sich nicht um ein echtes Parlament handeln würde, da jede Entscheidung vom König revidiert oder übergangen werden könne, da er selbst über der Verfassung stehe.
Obwohl die drei Organisationen ihren formellen Austritt aus der MSF bisher noch nicht eingereicht haben, könnte dies der Anfang vom Ende für die MSF und damit einer starken zivilgesellschaftlichen Stimme sein. Es fehlt eine Stimme der Vernunft, wie die von Thulani Maseko, die die Organisation zusammenhält. Der einzige Gewinner wäre der König und mit ihm die Monarchie. Und der Tod, das Leiden so vieler Aktivist:innen bliebe wirkungslos und umsonst.