Am 27. November wird Namibia seine siebten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeit des Landes organisieren. Egal wie die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen ausfallen werden, wird Namibia mit diesen Wahlen Geschichte schreiben, denn zum ersten Mal könnte entweder ein Kandidat der Opposition oder eine Frau das höchste Amt im Land übernehmen. Letzteres Szenario ist wahrscheinlicher.
Die SWAPO auf einem absteigenden Ast
Nach dem Tod des dritten Präsidenten Namibias Hage Geingob im Februar übernahm verfassungsgemäß sein Stellvertretender Nangolo Mbumba sein Amt. Die Legislaturperiode, die er zu Ende führt, wäre Geingobs letzte Amtszeit als Staatschef gewesen, da er laut Verfassung nicht mehr kandidieren durfte. Der Parteitag der Regierungspartei South West Africa People's Organisation (SWAPO) hatte bereits vor einem Jahr die damalige Außenministerin und aktuelle Vizepäsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah als Präsidentschaftskandidatin gewählt. Lange galt bei Wahlen in Namibia der Sieg der SWAPO immer als gesichert. Oft ging es lediglich um die Frage, wie hoch dieser Sieg ausfallen würde. In den letzten fünf Jahren hat sich jedoch die Situation verändert. Die Verschärfung der Armut, der Arbeitslosigkeit und der Ungleichheiten, verbunden mit Korruptionsskandalen der Regierungspartei haben zu einer Verschiebung der politischen Landschaft geführt. Eine der Auswirkungen dieser Verschiebung war der deutliche Stimmenverlust der Regierungspartei bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie bei den Kommunalwahlen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2019 konnte Panduleni Itula, ein langjähriges Mitglied der SWAPO, der als „unabhängiger Kandidat“ antrat, 30 Prozent der Stimmen gewinnen, was den Sieg von Hage Geingob auf den niedrigsten Stand aller bisherigen Präsidentschaftsergebnisse der SWAPO reduzierte. Dieser dramatische Abwärtstrend der setzte sich bei den Regional- und Kommunalwahlen 2020 fort. Bei diesen Wahlen verlor die SWAPO Windhoek, Walvis Bay und Swakopmund an die Independent Patriots for Change (IPC) und viele Kommunen im Süden Namibias an die Landless People‘s Mouvement (LPM). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen, auch unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die SWAPO aufgrund der internen personellen Schwächen und der globalen Konjunktur (COVID19, Ukraine-Krieg) nicht in der Lage war, eine überzeugende Antwort auf die dringenden Probleme wie Armut und wachsende Ungleichheit zu formulieren, wird es spannend sein zu beobachten, wie die Ergebnisse der bisherigen Wahlen ausfallen.
Wie steht es um die Opposition in Namibia?
Namibische Oppositionsparteien haben eines gemeinsam: viele der Gründer, wenn nicht alle, stammen aus der SWAPO und verließen diese Partei aufgrund von Frustrationen. Bis jetzt konnten die erschienenen oppositionellen Parteien intern nicht die Strukturen und die Atmosphäre schaffen, die es ihnen ermöglichen würde, von den Frustrationen der Wähler:innen gegenüber der SWAPO zu profitieren. Oft schwächten sie sich selbst durch interne Konflikte. Immerhin konnten 2019 die Popular Democratic Movement und die Landless People‘s Movement der SWAPO insgesamt 20 Sitze im Parlament erobern. Mit der Partei Independent Patriots for Change, deren Mitgründer 2019 als unabhängiger Kandidat für eine kleine Sensation sorgte, ist eine Newcomerin an der Reihe, die die Karten neu mischen könnte. Die SWAPO hat alle guten Gründe zu zittern, auch wenn die Opposition keine gemeinsame Plattform gebildet hat. Die Regierungspartei hofft, dass die Nominierung einer Frau mit der Möglichkeit, zum ersten Mal in der Geschichte Namibias eine Frau als Präsidentin zu wählen, ihre Siegeschancen erhöht. Die fehlende Einheit der Opposition könnte bewirken, dass die von ihr mobilisierten Stimmen zwischen den verschiedenen Kandidat:innen aufgeteilt werden. Das beste Szenario für sie wäre es, wenn trotz dieser Zersplitterung der eigenen Stimmen die Regierungspartei unter 50 Prozent der Wähler:innenstimmen bleibt. In diesem Fall wäre laut Verfassung eine Stichwahl zwischen den beiden ersten Kandidat:innen notwendig, bei der eine relative Mehrheit genügen würde. Es käme dann auf die Fähigkeit der Opposition an, sich zu einigen, um spätestens dann eine gemeinsame Front zu bilden. Ohne diese wäre bei einer Stichwahl der Sieg der SWAPO-Kandidatin trotz aller Frustrationen vor allem junger Wähler:innen gegenüber dieser Partei wahrscheinlicher. Eine Bündelung der Kräfte der Opposition könnte Namibia in eine ähnliche Situation wie Südafrika bringen: Am Ende könnte ein Kandidat der Opposition die Präsidentschaftswahlen gewinnen, während die SWAPO eine komfortable Mehrheit im nationalen Parlament behält. Eine Koalitionsregierung wäre notwendig und somit eine Konstellation der politischen Landschaft, die die namibische Demokratie auf eine neue Probe stellen würde.
Die SWAPO ist kein isolierter Fall
Die SWAPO ist nicht die einzige ehemalige Befreiungsbewegung im Südlichen Afrika, die sich in großen Schwierigkeiten befindet. In Simbabwe, Mosambik und Angola können sich die ehemaligen zu Regierungsparteien gewordenen Befreiungsbewegungen ZANU/PF, MPLA und FRELIMO seit Jahren nur noch dank Wahlmanipulationen und Gewalt an der Macht halten. Der ANC wurde in Südafrika zur Teilung der Macht gezwungen. Selbst in Botswana, wo viele sozioökonomische Indikatoren viel besser sind als in den benannten Ländern sind, wurde die Unabhängigkeitspartei BDP abgewählt. Bei all den nationalen Unterschieden haben alle Länder doch einen gemeinsamen Kern: Sie haben es nicht geschafft, die Transformation von Befreiungsbewegungen in moderne Parteien hinzubekommen, die den neuen Herausforderungen der unabhängig gewordenen Länder gerecht werden. Stattdessen pflegten sie ein Befreiungsnarrativ, dem zufolge die Menschen in ihren jeweiligen Ländern für die Befreiung von Kolonialismus und Apartheid ihnen ewig dankbar sein müssten. Kein Wunder, dass sie als erste die Jugend verloren, die keine persönlichen Erfahrungen mit den Zeiten verbindet, aus denen die ehemaligen Befreiungsbewegungen ihre Legitimität beziehen. Ihr Überleben also politische Kraft in den jeweiligen Ländern und in der Region wird von ihrer Fähigkeit abhängen, Befreiung in Gegenwart zu übersetzen, und zwar angesichts von Hunger, Armut, informeller Siedlungen, Ungleichheiten und neokolonialer Strukturen.