Namibia Genozid-Verhandlungen auf Wiedervorlage

Nachfahren der Opfer deutscher Kolonialverbrechen in Namibia fordern eine Neuverhandlung des deutsch-namibischen Abkommens zum Völkermord an Herero und Nama. Legitime Vertreter:innen der Opfergruppen müssten daran beteiligt werden, heißt es in einer Petition auf der Plattform change.org, die an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) adressiert ist

Höchste Vertreter der Ovaherero und Nama stellen Forderungen an Bundesregierung. Neue Petition wird gestartet

Berlin / Windhoek. Heute haben die ranghöchsten Vertreter der Ovaherero und Nama in Namibia in einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz ihre Forderungen an die neue Bundesregierung und an Außenministerin Baerbock gerichtet. Für die Ovaherero Traditional Authority (OTA), sprach der designierte Paramount Chief Professor, Dr. Mutjinde Katjiua. Als Vorsitzender der Nama Traditional Leaders Association (NTLA) und als Hauptverantwortlicher der Genozid-Verhandlungen sprach Gaob Johannes Isaack. Während der Pressekonferenz, wurde auch die neue Petition auf Change.org vorgestellt, die sich an Außenministerin Baerock richtet. Die Starter*innen dieser neuen Petition, der in Berlin lebende Herero Aktivist Israel Kaunatjike und die Nama Vertreterin Sima Luipert aus Namibia, gaben ebenfalls Statements ab und beantworteten Pressefragen.

Gaob Johannes Isaack (NTLA):
„Ich, Goab Isaack, fordere die deutsche Regierung und Frau Baerbock auf, den Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen und die legitimen Vertreter der Nama und Ovaherero einzubeziehen, damit wir eine dauerhafte Lösung finden können. Wir ermutigen unsere internationalen, solidarischen Freund*innen, uns weiterhin in unserem Kampf für Gerechtigkeit zu unterstützen.”

Professor Dr. Mutjinde Katjiua (OTA):
„Die Ovaherero und Nama sind eine verarmte Minderheit in Namibia. Sie werden entrechtet, politisch und wirtschaftlich marginalisiert von einer Regierung, die von Stämmen dominiert wird, die nicht dem Völkermord zum Opfer fielen. Die Ovaherero und Nama leben verstreut in Botswana, Südafrika und Angola als Geflüchtete, während einige versuchen, in den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada und Deutschland ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In der „Gemeinsamen Erklärung“, einem bilateralen Versöhnungsabkommen zwischen den Regierungen Deutschlands und Namibias, wird geleugnet, dass es sich bei dem Vernichtungskrieg tatsächlich um einen Völkermord handelte, und es wird kein Hinweis auf Wiedergutmachung gegeben. Die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA) sind entschlossen, eine dauerhafte Lösung für die Frage der Wiedergutmachung zu finden. Sowohl die OTA als auch die NTLA sehen in ihrer langjährigen freundschaftlichen Beziehung zu den Grünen eine Chance, die neue Regierung unter Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock davon zu überzeugen, die Verhandlungen unter Einbeziehung der Führung der Opfer des Völkermordes neu zu beginnen.“

Sima Luipert (NTLA, Petitionsstarterin):
„Unsere Forderung nach Restorative Justice hat kein Verfallsdatum und bleibt bestehen. Wir werden uns mit allen Beteiligten für das gemeinsame Ziel der Restorative Justice einsetzen und zusammen darauf hinarbeiten. Wir danken unseren internationalen Freund*innen und Partner*innen von ganzem Herzen.” 

Israel Kaunatjike (Ovaherero Aktivist, Petitionsstarter):
„Deutschland hat bis heute nicht offiziell zugegeben, dass es ein Verbrechen oder einen Völkermord begangen hat. Wir können und werden über keine Summe diskutieren, solange es kein Eingeständnis von Schuld oder eines Verbrechens gibt. Deutschland kann nicht gleichzeitig Angeklagter und Richter sein.”

Zu den Personen

Professor Dr. Mutjinde Katjiua (Ovaherero Traditional Authority): Professor Katjiua wurde im Dezember 2021 als Kandidat für die Position des Ovaherero Paramount Chiefs nominiert. Er hat einen Doktortitel in Naturschutzökologie und ist Professor an der Namibia University of Science and Technology. Er war in verschiedenen akademischen Funktionen und Vorständen tätig. Fünf Jahre lang war er der Generalsekretär der Ovaherero Traditional Authority unter der Leitung des damaligen Paramount Chiefs und Anwalts Vekuii Rukoro.

Chief / Gaob Johannes Isaack (Generalsektetär Nama Traditional Leaders Association, Hauptvertreter für Genozid-Verhandlungen): Gaob Isaack ist aktuell der Vorsitzende der Nama Traditional Leaders Association. Er war früher als Journalist und Manager für die Southwest African Broadcasting Corporation und als Manager bei der Namibian Broadcasting Corporation. Nach dem Versterben der vorherigen ranghöchsten Vertreter der Ovaherero und Nama ist er als Hauptvertreter mit den Verhandlungen des Genozids beauftragt.

Sima Luipert (Nama Traditional Leaders Association, Petitionsstarterin): Sima Luipert ist Nama Nachfahrin der Witbooi- und Fredericks-Clans, die den Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht maßgeblich prägten. Sie arbeitet in der namibischen Verwaltung und ist als Aktivistin seit Jahren zwischen Namibia und Deutschland unterwegs. Des weiteren ist sie Petitionsstarterin einer neuen, während der heutigen Pressekonferenz lancierten Petition auf Change.org.

Israel Kaunatjike (Herero Aktivist, Petitionsstarter): Der in Berlin lebende Herero Aktivist ist seit Jahren im Kampf für die Anerkennung der deutschen Kolonialverbrechen aktiv. Er war bereits in der Vergangenheit Petitionsstarter auf Change.org, gibt Vorträge und Interviews im ganzen Land, bereitet Ausstellungen mit vor und gibt zahllose Führungen und Workshops für Studierende und Schüler*innen aus ganz Deutschland und aller Welt. Gemeinsam mit Sima Luipert lancierte er heute eine neue Petition, welche sich direkt an Außenministerin Frau Annalena Baerbock richtet.

Hintergrund

Das im Mai 2021 vorgelegte Abkommen zwischen Deutschland und Namibia wurde ohne Vertreter*innen der beiden größten Organisationen der Ovaherero und Nama verhandelt. In diesem Abkommen wird der Völkermord zwar als solcher benannt, im völkerrechtlichen Sinne aber ausdrücklich nicht als Genozid anerkannt. Entsprechend sind auch keine Reparationszahlungen vorgesehen. Stattdessen bietet Deutschland eine offizielle Entschuldigung sowie Entwicklungshilfezahlungen von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre. Laut Ovaherero und Nama Vertreter*innen entspricht diese Gesamtsumme verteilt auf 30 Jahre 36 Millionen Euro pro Jahr und somit ziemlich genau dem, was Namibia in den vergangenen drei Jahrzehnten an Entwicklungshilfe bekommen hat. Die exklusiven Regierungsverhandlungen zwischen Namibia und Deutschland sind von einem großen Teil der Ovaherero und Namas von Beginn an heftig kritisiert worden. Ihr Hauptbeschwerdepunkt war, dass ihnen keine eigene, regierungsunabhängige Vertretung bei diesen Verhandlungen zugestanden wurde. Auch vom namibischen Parlament erfolgte noch immer keine Zustimmung zum Abkommen.