Afrika neu denken 2022: Kolonialismus, Reparationen, Normalisierung? Deutsch-namibische Beziehungen

Die diesjährige Konferenz „Afrika neu denken“ fand am 14. Oktober im Haus am Dom in Frankfurt statt. Es war das zweite Mal in der mittlerweile zehnährigen Geschichte dieser Reihe, dass ein auf dem ersten Blick länderspezifischer Schwerpunkt gesetzt wurde. Das erste Mal war 2019, als die Konferenz das Thema „Komplizierte Beziehungen – Afrika und Europa 25 Jahre nach Ende der politischen Apartheid“ behandelte. Genauso wie es 2019 darum ging, darüber nachzudenken, wie 25 Jahre nach der Abschaffung der politischen Apartheid die südafrikanischen Erfahrungen und Diskurse neue Perspektiven und Fragen für die Europa-Afrika-Beziehungen in Deutschland öffnen können, stand auch im Hintergrund der diesjährigen Konferenz die Frage danach, was afrikanische Länder, bei denen die Aufarbeitung der kolonialen Gräueltaten bevorsteht, von den Dynamiken der Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia lernen können.

Dafür wurden in dieser Konferenz verschiedene Aspekte dieser Beziehungen analysiert. Eine allgemeine Kontextualisierung lieferte Uhuru Dempers, Leiter vom Desk for Social Responsability der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (ELCN), indem er eine Bestandsaufnahme der namibischen Gesellschaft machte: Besitzverhältnisse, Einkommensungleichheiten, Zugang zu Arbeit, Bildungsmöglichkeiten ... All diese Aspekte analysierte er vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Namibia seit nun 31 Jahren un-abhängig ist, wobei er mehr als deutlich zeigte, wie sowohl deutscher als auch südafrikanischer Kolonialismus nachwirken und all den erwähnten Aspekten im heutigen Namibia ihren Stempel aufdrücken. Er zeichnete das Bild einer Gesellschaft, die nach wie vor aus getrennten Communities besteht, wobei die Privilegien der weißen Minderheit mit dem Mangel an Ressourcen und an gesellschaftlicher Teilnahme der großen Mehrheit kontrastieren. Daran ändert seiner Meinung nach nichts, dass sich ein Teil der schwarzen „Elite“ nach der Un-abhängigkeit hat kooptieren lassen.

Es ist jener noch sehr kolonial geprägte gesellschaftliche Kontext, den es zu berücksichtigen gilt, um die von Uria Nandiuasora Mazeingo (Ovaherero Genocide Foundation) und Evelyn Mswetsa (eine der Vertreter:innen der Ovaherero Genocide Foundation im Exil) thematisierten Gründe für die Ablehnung des Versöhnungsabkommens zwischen Namibia und Deutschland einordnen zu können. Evelyn Mswetsa vertrat die kurzfristig erkrankte Sima Luipert. Abgesehen vom Verhandlungsprozess, der die direkt vom Genozid betroffenen Gruppen ausgeschlossen hat, wurde bemängelt, dass das Versöhnungsabkommen in seiner jetzigen Form weder einer Anerkennung der Gräueltaten noch einer Entschuldigung, geschweige denn der Reparationsforderung gerecht wird. Beide Referent:innen bezogen sich im Blick auf das Reparationsgebot auf die UN-Grundprinzipien und -Leitlinien über das Recht auf Abhilfe und Wiedergutmachung für Opfer grober Verletzungen der internationalen Menschenrechtsnormen und schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Diese definieren fünf Komponenten für Reparationen: Restitution, Entschädigung, Rehabilitierung, Genugtuung und Garantien der Nicht-Wiederholung. Keine dieser Komponenten sehen sie im Versöhnungsabkommen als berücksichtigt.

Heike Becker (University of Western Cape, Südafrika) griff auch den Versöhnungsprozess auf, indem sie unterstrich, dass, wenn ein Abkommen zwischen einer ehemaligen Kolonialmacht und den ehemals Kolonisierten eine Chance haben soll, Gerechtigkeit und Versöhnung zu schaffen, die Nachkommen der Betroffenen genau angehört werden müssen. Dies setzt voraus, dass sie in angemessener Weise in die Verhandlungen einbezogen werden. Dies ist bei den Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland nicht der Fall gewesen, obwohl die Genozidopfergruppen es von Anfang an beharrlich verlangten. Darüber hinaus unterstrich sie auch das, was Uria Nandiuasora Mazeingo und Evelyn Mswetsa das selektive Gedächtnis der deutschen Regierung nennen, die mit Genozidopfergruppen aus Namibia anders umgeht als mit anderen Opfergruppen.

Alle Refererent:innen waren sich darüber einig, dass es jenseits der offiziellen Verhandlungen vielfältiger zivilgesellschaftlicher Initiativen bedarf, um die namibisch-deutschen Beziehungen heilen zu können. Eine umfassende Dokumentation der Tagung wird dmächst auf dieser Website zu lesen sein.