Stolen Moments auf dem Weg nach Namibia

Mit einer sehr gut besuchten Finissage endete am 21. November die Ausstellung „Stolen Moments. Namibian Music History Untold“. Es beginnt nun Teil Zwei der Ausstellungsarbeit, nämlich die Verschiffung nach Namibia und die Kuration der Ausstellung für das Independence Memorial Museum in Windhoek, wo aller Voraussicht nach eine Dauerausstellung entstehen soll. Aino Moongo wird diese zusammen mit einer Kuratorin aus dem Museum erarbeiten. Derzeit laufen die Verhandlungen mit dem zuständigen namibischen Ministerium und der Verwaltung des Museums in Windhoek.

Gemeinsam mit Ulf Vierke, dem Leiter des Bayreuther Iwalewahauses und Thorsten Schütte, dem Filmemacher und Initiator der Ausstellung, konnten wir auf der Dienstreise in Namibia mit der Direktorin des National Heritage and Culture Programms, Esther Moombolah-/Gôagoses und ihrem Stellvertreter Boyson Ngondo über das Projekt sprechen. Sie sind verantwortlich für die Museen des Landes und damit auch für das Independence Museum. Denn dort könnte die Ausstellung dauerhaft einziehen. Auch wenn etwa das Museum of Namibian Music (MUNAMU) in Omuthiya inhaltlich zunächst als die geeignetere Wahl erschien, so sind das Potential und die Größe, die das Independence Museum bietet, sehr vielversprechend und eine enorme Chance und Aufwertung auch für das Museum selbst.

In einer ersten Gesprächsrund diskutieren wir über die Notwenigkeit eines Memorandums of Understanding, das unterzeichnet werden muss, benennen die Klärung der Besitzverhältnisse - sollte die Ausstellung als Schenkung (oder welche Übersetzung für donation wir letztendlich aus rechtlichen Gründen wählen werden) an die namibische Regierung übergeben werden - und visieren die Eröffnung der gemeinsam kuratierten Ausstellung für September 2022 während der Heritage Week an. Nach dem Meeting besichtigen wir das Museum, um uns die möglichen Räumlichkeiten anzusehen.

Independence Memorial Museum

Das 40 Meter hohe Gebäude wurde 2014 eröffnet und ist dem Antikolonial- und Unabhängigkeitskampf des Landes gewidmet. Im ersten Stockwerk wird die Geschichte Namibias unter der Kolonialherrschaft erzählt, darüber geht es um die Widerstandsbewegung, während im obersten Stockwerk der Weg zur Unabhängigkeit im Mittelpunkt steht. Vom Rooftop Restaurant aus hat man einen fantastischen Blick über die Stadt. Dort, wo früher das Reiterdenkmal[1] stand, steht jetzt eine überlebensgroße Statue des Gründungspräsidenten Sam Nujoma, in der Hand die Verfassung. Das Reiterdenkmal hat seit 2013 seinen Platz im Hof der Alten Feste gefunden.

„Das neue Independence Memorial Museum wird im Auftrag der SWAPO-Regierung von nordkoreanischen Firmen errichtet, welche schon die nationale Gedenkstätte, den »Heroes Acre«, oder das Militärmuseum in Okahandja ausgeführt haben. Das Windhoeker Unabhängigkeitsmuseum, das den Charme eines Parkhauses mit Schießscharten versprüht, ist reichlich überdimensioniert. Dies ist wohl auch beabsichtigt, lässt es doch die Alte Feste und die Christuskirche … geradezu winzig erscheinen. Dergestalt präsentiert es sich als auftrumpfendes Gegendenkmal zu dem Architekturensemble aus der deutschen Kolonialzeit,“ schreibt Jochen Zeller.[2]

Bei der ersten Besichtigung des für die Ausstellung angedachten Raums sind wir fast erschlagen von der sehr eigenen nordkoreanischen Martialität der Bildersprache, dem nordkoreanischen stalinistischen Realismus, wie ihn Heike Becker bezeichnet.[3] Konzipiert und gebaut wurde dieses Museum von der nordkoreanischen Firma Mansudae Overseas Projects (MOP), einer „gigantischen Kunstfabrik mit 3.700 Mitarbeiter:innen, darunter etwa 1.000 Künstler:innen“, so Becker. Die namibische Regierung hat sich für diese Gestaltung entschieden, nicht weil sie, wie viele behaupten, kostenlos oder besonders günstig gewesen wäre, sondern weil sie sich bewusst für die „alternative, nicht-westliche Quelle der Modernität, die der nordkoreanischen Ästhetik innewohnt,“ entschieden hatte.

Perspektive für Namibia

Der Raum ist hoch, im Halbrund sind die deckenhohen Wandreliefs und Gemälde kaum zu erfassen, es ist eher dunkel und bedrohlich. Erst auf der auf halber Höhe angebrachten Balustrade erschließt sich das ganze Panorama. Wie sich da die eher fragil anmutenden, auf viel Technik basierenden Elemente der Stolen Moments-Ausstellung integrieren lassen, ist auf den ersten Blick schwer vorstellbar. Und wie etwa die großen Zaubitzer-Bilder sich mit dem vorhandenen kombinieren lassen, entzieht sich zunächst meiner Vorstellungskraft. Und das, obwohl sie thematisch ganz hervorragend zusammenpassen, geht es doch in den Bildern und Wandreliefs um genau dieselbe Zeit in der namibischen Geschichte. Und Platz dafür ist vorhanden, denn auf den ersten 1,50 Metern der Wandfläche sowie auf der gesamten Grundfläche des Panoramaraums ist nichts Dauerhaftes installiert.

Die beiden Kuratorinnen des Museums, die mit Aino Moongo zusammenarbeiten werden, sind sehr angetan von der Idee, nicht nur diese Ausstellung zu haben, die noch mal einen ganz anderen Zugang zur Geschichte erlauben wird, sondern auch von der Vorstellung, dass eine mobile Version durch das Land reisen könnte. Olivia Nakale und Lydia Ngjilundilua sind sehr stolz auf ihr Museum, das wird im Gespräch mit unserer Delegation deutlich, sie sind aber auch schwer beeindruckt von dem, was Thorsten Schütte ihnen über die Entstehungsgeschichte der Ausstellung erzählt und über die Bilder aus Stuttgart, die sie sehen. Immer wieder kommen eigene Erinnerungen bei den Hörbeispielen hoch. Genau das wird der große Unterschied zu den Ausstellungen in Deutschland sein: das persönliche Anknüpfen, die eigenen familiäre oder persönliche Erfahrungen mit der Geschichte der Unterdrückung und Apartheidpolitik und die damit verbundenen Lieder, Melodien oder Liedtexte. Sehr eindrücklich hat dies Namafu Amutse in ihrem Beitrag zu unserer Begleitbroschüre zur Ausstellung „Namibia: Gestohlene Vergangenheit – verhinderte Zukunft“[4] beschrieben und noch einmal in ihrer Rückschau auf ihre Arbeit bei der Ausstellung zusammengefasst: „Obwohl ich aus Namibia stamme, kannte ich wenig von der in der Ausstellung zu hörenden Musik. Ich habe es sehr genossen, die Musik selbst zu entdecken und zu erforschen. An Tagen, an denen nicht so viele Leute kamen, habe ich die verschiedenen Stationen erkundet und mich mit einigen der Künstler:innen vertraut gemacht. Ich freue mich so sehr, dass die Ausstellung nach Namibia gehen wird, denn ich weiß genau, dass die Liebe und Wärme, die sie dort erfährt, magisch sein wird.“