Panafrikanische Freihandelszone

Grundlage für einen strukturellen Wandel oder Afrikanische Welthandelsorganisation Plus (WTO)?

Vom 1. bis 4. August 2023 nahm ich an der Konferenz „Joint EAC-SADC CSOs Regional Forum on the African Continental Free Trade Area (AfCFTA)“ teil. Sie fand im Rahmen eines von SEATINI Uganda, Third World Network Africa (TWN-A) und Enda Cacid durchgeführten Projektes “Effektives Engagement der afrikanischen Zivilgesellschaft bei den Verhandlungen und der Umsetzung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA)" statt.  Das Regionalforum für das Östliche und Südliche Afrika zur Umsetzung der AfCFTA in der ugandischen Stadt Entebbe hatte das übergeordnete Ziel, ein gemeinsames Verständnis für den aktuellen Stand der Verhandlungen und der Umsetzung der AfCFTA zu schaffen. Wie die Überschrift es verrät, waren an dieser Konferenz Vertreter:innen aus drei afrikanischen Regionen beteiligt.

Ablauf und Methode der Tagung

Methodisch wurde die Tagung so konzipiert, dass von einer Kontextualisierung der AfCFTA, über die Analyse der Inhalte der einzelnen Protokolle und Annexe, bis hin zur Rolle der einzelnen Stakeholder wie Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, AfCFTA-Sekretariat, Regionale Blöcke und nationale Regierungen, alle relevanten Themen angesprochen wurden.

Der Schwerpunkt lag in der Analyse und kritischen Durchleuchtung der Protokolle und Annexe. Diese wurden in zwei Kategorien unterteilt: die bereits verabschiedeten Protokolle über Warenhandel und Dienstleistungen wurden in Details analysiert, während bei den Protokollen über Investitionen, Wettbewerbsregeln, Frauen und Jugend, E-Commerce und Schutz des geistigen Eigentums, die sich entweder noch in der Verhandlungsphase befinden oder deren Verhandlungen vor kurzem abgeschlossen wurden, die Diskussionen sich darauf beschränkten, die bereits verfügbaren Informationen zu evaluieren und die inhaltliche Ausrichtung all dieser Instrumente kritisch zu beleuchten.

Bestätigung der großen Ernüchterung

Die Teilnehmenden an dieser Konferenz waren sich darüber einig, dass nicht nur die Instrumente, sondern auch die Sprache, an der sich die Protagonist:innen der AfCFTA abarbeiten, sich nicht von der WTO-Architektur unterscheiden. So gesehen ist die AfCFTA in ihrer aktuellen Form nichts anderes als eine afrikanische WTO, die vor allem durch einen nicht nachvollziehbaren vorauseilenden Gehorsam gekennzeichnet ist.

Die AfCFTA mag die richtigen Ziele formulieren: das volle Potential des binnenafrikanischen Handels ausschöpfen und Afrikas lang gehegte Bestrebungen nach Integration und Entwicklung dringend voranbringen. Die Teilnehmenden stellten aber nach einer grundlegenden Analyse der Protokolle fest, dass die AfCFTA die Prioritäten falsch setzt.

Alle bisherigen Instrumente legen den Schwerpunkt auf die Liberalisierung, als ob sich die Probleme für den binnenafrikanischen Handel darauf reduzieren lassen. Afrika sieht sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, darin waren sich die Teilnehmenden einig. Dazu gehören eine übermäßige Abhängigkeit von der Ausfuhr von Rohstoffen, sehr begrenzte inländische Produktionskapazitäten, mangelnde Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit, die Entwicklung von Inselökonomien, die sich nicht aufeinander beziehen und ein hohes Energiedefizit. Hinzu kommen unzureichende belastbare Infrastrukturen für den Straßen-, Luft- und maritimen Verkehr und last but not least ungeeignete Bildungs- und Ausbildungssysteme, die nur selten in der Lage sind, junge Menschen auf den Markt zu bringen, die in den verschiedenen afrikanischen Kontexten ihren Platz als Akteur:innen der gesellschaftlichen Transformation finden. All diese Faktoren machen Afrika durch die immer wieder kehrenden zyklischen Rezessionen der Weltwirtschaft anfällig für die externen Schocks, was für die Mehrheit der Menschen auf dem Kontinent Armut, eine Verschlechterung der Lebensbedingungen und eine Vernichtung jahrelanger Anstrengungen für soziale Transformation bedeutet. Will die AfCFTA diese Schwächen der afrikanischen Volkswirtschaften im Kontext einer von Konkurrenz geprägten globalen Wirtschaftsordnung ausgleichen, damit der afrikanische Kontinent gemessen an seinen Potentialen an Gewicht gewinnt, müssen die hier skizzierten Herausforderungen bewältigt werden, und zwar nicht durch Liberalisierung, was die aktuelle Ausrichtung der AfCFTA suggeriert, sondern durch gezielte Strategien für den strukturellen Wandel der afrikanischen Ökonomien. Dieser verlangt eine Reihe von Maßnahmen, darunter verbesserte Investitionen in Infrastrukturentwicklung, in die berufliche Bildung, in die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung. Dringender denn je brauchen afrikanische Länder eine stärkere Mobilisierung des inländischen Kapitals, die mit einer effektiveren Bekämpfung der Korruption und der Kapitalabflüsse einhergeht. Nur so können binnenafrikanische Handlungsspielräume für Investitionen in die Verarbeitung von Exportgütern, die in Afrika gefragt sind, für den Wiederaufbau inländischer Fertigungskapazitäten, die Entwicklung der Industrie- und Dienstleistungssektoren sowie die Verbesserung der allgemeinen inländischen Produktionskapazitäten geschaffen werden.

Gefahr der Übernahme der liberalisierten Räume durch externe Akteure

Ohne Erhöhung der Produktionskapazitäten besteht eine akute Gefahr, konstatierten die Konferenzteilnehmenden, dass die durch die Liberalisierungsagenda der AfCFTA geschaffenen Räume durch externe Akteure besetzt werden können, die sich die Vorteile einer afrikanischen Freihandelszone durch inadäquate Ursprungsregeln oder durch die eigenen Handels- und Investitionsabkommen mit einzelnen Ländern oder Regionen des Kontinents zu eigen machen. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, weil einige dieser Handels- und Investitionsabkommen von Drittländern mit afrikanischen Ländern und Regionen zeitgleich mit der AfCFTA verhandelt werden. Darüber hinaus spielen Berater:innen aus der EU und Großbritannien ebenso wie Geld aus diesen Regionen für die Gestaltung der Liberalisierungsagenda der AfCFTA eine große Rolle. Dass Wechselwirkungen zwischen Instrumenten der EU- sowie GB-Handelsabkommen mit afrikanischen Ländern und denen der AfCFTA entstehen können, ist nicht von der Hand zu weisen. Dass der Kontinent selbst für die Liberalisierungsagenda noch nicht bereit ist, zeigt die Guided Trade Initiative (GTI). Diese Initiative wurde vom Sekretariat der Panafrikanischen Freihandelszone im Oktober 2022 ins Leben gerufen und sollte pilotmäßig zeigen, wie der Handel unter der AfCFTA institutionell, rechtlich und handelspolitisch funktionieren kann. Die acht Länder, die an der GTI teilnehmen, sind Kamerun, Ägypten, Ghana, Kenia, Mauritius, Ruanda, Tansania und Tunesien und repräsentieren die fünf Regionen Afrikas. Zu den Produkten, die im Rahmen dieser Initiative gehandelt werden, gehören unter anderem Keramikfliesen, Batterien, Tee, Kaffee, verarbeitete Fleischprodukte, Maisstärke, Zucker und Nudeln. Dass ein Abkommen, das in 2021 in Kraft trat, ein Pilotprojekt braucht, um seine Effektivität zu beweisen, ist für viele kritische Beobachter:innen schon irritierend. Sie fühlten sich bestätigt in ihrer Kritik, als es bekannt wurde, mit welchen Herausforderungen die an diesem Pilotprojekt beteiligten Unternehmen konfrontiert wurden. Besonders legendär ist der Fall der kenianischen Firma Associated Battery Manufacturing EA Ltd, die im Rahmen dieser Initiative Autobatterien nach Ghana exportiert. Da es in Afrika selbst keine Logistikfirma gibt, die den Transport machen konnte, wurde eine Firma aus Singapur engagiert, und weil die Produktion der kenianischen Firma für die Partnerfirma in Ghana nicht ausreichte, um das Schiff zu füllen, musste das Schiff den Umweg nach Singapur machen, bevor es Accra ansteuern konnte. Die Ware kam nach fast sechs Monaten an. Dieses Beispiel veranschaulicht die bereits angesprochene falsche Priorisierung in der Gestaltung der AfCFTA.

Fazit

Die AfCFTA ist kein isoliertes Projekt, sondern wurde ins Leben gerufen als zentrales Projekt zur Verwirklichung der Agenda 2063 der Afrikanischen Union, die drauf abzielt, Afrika durch beschleunigtes Wachstum zu transformieren sowie Entwicklung und Wohlstand herbeizuführen. Will die AfCFTA zu dieser Agenda tatsächlich beitragen, ist ein Paradigmenwechsel in ihrem Aufbau gefragt, weg von der Liberalisierungsagenda hin zur Schaffung der Voraussetzungen für die Erhöhung der Produktivitätskapazitäten. Alle Vorgängerprogramme der AfCFTA adressierten verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit ihnen. Eine Rückbesinnung darauf ist dringender denn je. Der gefragte Paradigmenwechsel betrifft auch die Beziehungen des Kontinents mit anderen Wirtschaftsräumen. Hier braucht der Kontinent Schutz, um die AfCFTA nach dem eigenen Tempo und im Interesse derer, die in Afrika Produktion von und Handel mit afrikanischen Produkten betreiben, in Ruhe zu gestalten. Wer von außen die AfCFTA unterstützen will, sollte keine Liberalisierung vorantreiben, sondern vor allem den afrikanischen Ländern und Regionen zoll- und quotenfreien Zugang zu seinem Markt gewähren, ohne eine reziproke Marktöffnung zu verlangen, die den Aufbau der AfCFTA nur stören kann.

Dieser Aufbau ohne externe Störungen ist auch deswegen gefragt, weil es wichtig ist, die Kosten und Nutzen der AfCFTA innerhalb des Kontinents gerecht zu verteilen. Für diesen Paradigmenwechsel im Fokus der AfCFTA will sich die in Entebbe versammelte organisierte Zivilgesellschaft engagieren, auch wenn der Zug schon Fahrt aufgenommen hat.

In allen Diskussionen hat sich herauskristallisiert, dass die AfCFTA in ihrer aktuellen Ausrichtung den Gegebenheiten auf dem afrikanischen Kontinent nicht gerecht wird. So gesehen wird an den tatsächlichen Problemen vorbeigearbeitet, die dem binnenafrikanischen Handel im Weg stehen. Dies wurde mit dem GTI illustriert. Die GTI hat gezeigt, dass die Probleme in den Bereichen der Infrastrukturen, der Logistik und vor allem im Bereich der Produktionskapazitäten zu verorten sind. Die aktuelle Architektur der AfCFTA ist keine Antwort auf all diese Herausforderungen und deswegen beinhaltet sie die große Gefahr, dass von der priorisierten Marktöffnung in erster Linie ausländische Unternehmen profitieren werden. Auch innerhalb des Kontinents wird es sicherlich ein paar wenige Gewinner geben. Das Problem ist eher, dass für die Verlierer keine überzeugenden Kompensationsmöglichkeiten geplant sind. Darüber hinaus bleiben viele Unsicherheiten bestehen, da viele Annexe noch nicht verhandelt wurden. Aus all diesen Gründen ist zivilgesellschaftliches Engagement gefragt, um zu verhindern, dass die AfCTA zu einer afrikanischen WTO+ wird, die ermöglicht, dass unter dem Deckmantel einer afrikanischen Initiative, Afrika sich zu allem öffnet, einschließlich der neuen Generation der Handelsthemen, zu denen die Länder des Kontinents bis jetzt im Rahmen der WTO und der bilateralen Abkommen wie der EPAs Widerstand geleistet haben. Dafür wollen die in Entebbe versammelten Organisationen an einem Manifest der afrikanischen Zivilgesellschaft zur Handelspolitik arbeiten, das die Bildungs- und Lobbyarbeit auf allen Ebenen begleiten soll. Solidaritätsgruppen aus dem Globalen Norden sind eingeladen, sich in diesen Prozess einzubringen. Des Weiteren ist finanzielle Unterstützung für Studien und Lobbyarbeit zur Handelspolitik dringend notwendig, da dieser Bereich unterfinanziert ist.