Namibia im grünen Wasserstofffieber? Unangenehme Fragen nicht außer Acht lassen

Am 26 Mai 2023 unterschrieb die namibische Regierung mit Hyphen Hydrogen Energy eine Machbarkeits- und Umsetzungsvereinbarung, die von der namibischen Regierung als bahnbrechend bezeichnet wurde. Das multimilliardenschwere Wasserstoff- und Ammoniakprojekt soll das namibische BIP mehr als verdoppeln und zugleich Namibia zum Energieexporteur in die EU machen. Darüber hinaus soll das Projekt Namibias sozioökonomische Entwicklung durch Beschäftigung und Beteiligung lokaler Unternehmen beschleunigen. So war es in einem Einladungsbrief des Gouverneurs der Hardap-Region vom 17.Julii zu lesen, mit dem er verschiedene Stakeholdern zur Lancierung des sozioökonomischen Entwicklungsrahmens des Wasserstoff- und Ammoniakprojekts nach Keetmanshoop einlud. Die Wortwahl der Einladung, das unter der Federführung des namibischen Präsidenten persönlich stand, ist exemplarisch für die großen Erwartungen, die die Eliten Namibias in dieses Projekt setzen. Nicht alle teilen diese Begeisterung, manche fürchten, dass Namibia schon wieder auf der Verliererseite sein könnte. So war es auch mit einer Freundin aus Namibia, die in der Nähe von Keetmanshoop wohnt und die sich im Vorfeld der Veranstaltung an mich wandte und Informationen zum Wasserstoffprojekt haben wollte. Neben den allgemeinen Informationen, die ich hier und da in Publikationen finden konnte, beschloss ich, ihr ein paar Fragen zu formulieren, die aus meiner Perspektive alle Menschen in Namibia im Zusammenhang mit diesem Projekt stellen sollten. Diese folgenden Zeilen fassen diese Fragen zusammen.

Deutschland und andere Industrieländer haben den grünen Wasserstoff und die damit verbundenen Umwandlungsmöglichkeit in Ammoniak als zentral für das Erreichen ihrer Klimaziele in Sektoren wie Stahl, Aluminium, Zement, chemische Industrie, Luftfahrt und Schifffahrt identifiziert. Es scheint, dass alle diese Länder eine klare Strategie verfolgen. Sie wollen ihre aktuellen, von ihnen selbst als hoch eingestuften Lebensstandards aufrechterhalten, indem sie die Wende von fossilen zu erneuerbaren Energien ohne Einbußen bei den Produktions- und Verbrauchsmustern vollziehen. Zu diesem Zweck haben sie Afrika und besonders Namibia ausgewählt, um ihre Strategien zu verwirklichen. Wieder einmal werden Namibia und Afrika instrumentalisiert, um Strategien anderer Weltregionen zu verwirklichen. Da die namibische Regierung dieses Projekt offenbar nicht aus einem strategischen Blickwinkel heraus angeht, sondern nur, um dem Land neue Versprechungen zu machen - nachdem die nach der Unabhängigkeit gemachten nicht eingehalten wurden - drängen sich folgende Fragen auf, die helfen könnten, die Chancen und Risiken dieses neuen Projekts richtig einzuschätzen:

1) Was unterscheidet dieses Projekt von früheren Projekten, bei denen Energie und Bodenschätze des afrikanischen Kontinents ausgebeutet wurden, um Wertschöpfungsketten und Wohlstand in anderen Teilen der Welt und insbesondere in den ehemaligen Kolonialmächten zu schaffen? Ist dieses Projekt eine Fortsetzung der kolonialen Arbeitsteilung und der kolonialen Beziehungen unter dem Deckmantel des grünen Übergangs oder was macht es anders?

2) Namibia hat wie viele afrikanische Länder eine junge und wachsende Bevölkerung, die auf der Suche nach Arbeitsplätzen ist. Welche Maßnahmen ergreift die Regierung im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung, um sicherzustellen, dass die Jugend Namibias die durch dieses Projekt gebotenen Möglichkeiten nutzen kann?

3) Für ein so großes Projekt wird Land benötigt. Theoretisch verfügt Namibia über genügend Land, das die Entwicklung eines solchen Projekts ermöglichen könnte. In der Praxis wissen wir, dass Land in Namibia eine höchst umstrittene Ressource ist, da die Landkonflikte im Zusammenhang mit dem deutschen und südafrikanischen Kolonialismus noch nicht gelöst sind. Wie will die Regierung sicherstellen, dass dieses grüne Wasserstoffprojekt die Landkonflikte in Namibia nicht noch verschärft? Wie werden diejenigen, die durch den Kolonialismus enteignet wurden, von diesem Projekt profitieren?

4) Eine weitere Voraussetzung für die Entwicklung von grünem Wasserstoff ist Süßwasser. Im Gegensatz zu den zentral- und westafrikanischen Ländern verfügt Namibia nicht über große Wasservorkommen wie Seen, Flüsse mit Einzugsgebieten und Wasserbecken, die potenziell für die Elektrolyse genutzt werden könnten. Die wenigen vorhandenen Süßwasserreserven werden für die lokalen Gemeinschaften, für die Landwirtschaft und die Tierwelt dringend benötigt.  Klimawandelforscher:innen prognostizieren, dass das Süßwasser im Südlichen Afrika noch knapper und anfälliger wird, wenn die Temperaturen weitersteigen und die Jahreszeiten unvorhersehbar werden. Welche Garantie haben wir, dass dieses Projekt nicht zu einer Verschärfung der Wasserkonkurrenz und der Wasserverteilungskonflikte führt, die auf Kosten der lokalen Gemeinschaften und der lokalen wirtschaftlichen Prioritäten wie der Landwirtschaft gelöst würden?

5) Namibia hat ein Energiedefizit. Hat die Regierung bei den Verhandlungen sichergestellt, dass dieses Projekt in erster Linie den nationalen Bedürfnissen dient? Und wenn diese wirklich im Mittelpunkt der Überlegungen stehen, bleibt zu fragen, ob diese kostspielige Technologie der beste Weg für Namibia ist, sein Energiedefizit zu überwinden? Gibt es nicht andere Lösungen, wie z.B. die Solarenergie, die nicht nur mehr Arbeitsplätze für Namibia versprechen, sondern auch die Chance bieten würde, die Energieerzeugung und -verteilung zu demokratisieren und in die Hände der lokalen Gemeinschaften zu legen? Ist Solarenergie für ein flächenmäßig großes, aber dünnbesiedeltes Land wie Namibia nicht die beste Lösung? Mit bei Lüderitz produziertem Wasserstoff stellt sich ein Transportproblem dahin, wo die Energie tatsächlich gebraucht wird. Die Regierung von Namibia hat bis jetzt nicht transparent gemacht, wo der Bedarf an mehr Energie ist und welche Industrien es sind, die in Namibia den grünen Wasserstoff brauchen. Macht sich Namibia mit einem solchen Projekt nicht unnötig abhängig von mächtigen ausländischen Unternehmen, die den grünen Wasserstoff produzieren werden, und von Banken, bei denen die Regierung Kredite aufnehmen wird, um die Infrastruktur für dieses Projekt zu schaffen und ihren eigenen Anteil an den Betreibergesellschaften zu sichern? Wer wird die Schulden zurückzahlen, wenn die Rechnung nicht aufgeht?

6) Einer der Gründe für die Aufregung um dieses Projekt ist das Versprechen, dass Namibia sein jährliches BIP mehr als verdoppeln wird. Wenn dieses vage Versprechen in die Tat umgesetzt wird, welche strukturellen und institutionellen Mechanismen werden dann eingerichtet, um sicherzustellen, dass die Einnahmen nicht zweckentfremdet werden, wie es Namibia in anderen Sektoren wie Fischerei und Tourismus immer wieder erlebt hat? Wie wird bereits jetzt sichergestellt, dass die Stimmen der von diesem Projekt direkt betroffenen Gemeinschaften und die Aufsichtsfunktion des Parlaments bei solch großen internationalen Verträgen berücksichtigt werden?

7) Welche Menschenrechts-, Demokratie- und Umweltverträglichkeitsprüfungen wurden vor Beginn des Projekts durchgeführt, um jegliche Risiken für das Land und seine Bevölkerung zu verringern?

Meiner Meinung nach können uns diese Fragen helfen, die Risiken und Chancen eines solchen Megaprojekts zu bewerten. Sollte sich daraus die Einschätzung ergeben, dass die Risiken für Namibia höher sind als der erwartete Nutzen, sollte Namibia den Mut haben, aus dem Projekt auszusteigen und nach alternativen Wegen zu suchen, um aus seiner wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise herauszukommen. Sich auf ein solches Projekt einzulassen, das aus den Interessen anderer Nationen heraus konzipiert wurde, ohne die neuen Risiken für eine Stabilisierung der kolonialen Beziehungen zu bewerten, kommt dem bloßen Glauben gleich, dass ausländische Interessen und Konzepte ohne Weiteres die Probleme Namibias lösen werden. Namibia braucht eigene Konzepte und Ressourcen, um seine Probleme lösen zu können. Außerdem ist für ein Land mit einer Schuldenquote von über 70% des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2022 eine Neuverschuldung für ein Wasserstoffprojekt ohne Erfolgsgarantie unverantwortlich, denn eine hohe Staatsverschuldung bringt Unsicherheit für potenzielle Investoren in anderen Sektoren mit sich.

Zum Schluss erinnerte ich diese Freundin daran, dass die SWAPO bis jetzt bei allen internationalen Verhandlungen nicht in der Lage war, die Interessen Namibias konsequent zu vertreten: bei den Verhandlungen um die Unabhängigkeit macht Namibia viele faule Kompromisse, deren Auswirkungen am Beispiel der Landfrage überall zu beobachten sind; bei dem katastrophalen Fischereiabkommen, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die selbst SWAPO-Eliten als neokolonial bezeichnen, dem sogenannten Versöhnungsabkommen mit Deutschland, das viele Beobachter:innen nicht nur peinlich finden, sondern auch als Verrat an afrikanischen Bestrebungen im Umgang mit Kolonialitäten. Wird es mit dem Wasserstoff anders sein? Die Intransparenz, die diese Verträge begleiten, lässt nichts Gutes ahnen.